© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 14/19 / 29. März 2019

Grüße aus Kapstadt
Tommies und Hutzelweibchen
Elke Lau


Das Hotelzimmer ist noch nicht bezugsfertig. Wir stellen unsere Koffer ab und gehen  zur Seemannsmission. Im Gepäck Lesestoff, sogenannte Tramp-Bücher, die Seeleute auf ihre nächste Reise mitnehmen und irgendwo in der Welt wieder abgeben. Der uns schon bekannte Pastor dieser segensreichen Einrichtung ist gerührt. Er schenkt uns ein liebevoll eingewickeltes Päckchen mit zwei handgestrickten Pudelmützen. Ein Zettel liegt bei. In ungelenker Schrift wünscht jemand tapferen Seeleuten eine gesunde Rückkehr.

Weiter geht es zur quirligen Waterfront, etwa zwei Kilometer vom Zentrum entfernt. Heute erleben wir Zirkus pur: Dicke, knallbunt gekleidete Frauen, das Handy unter verfilzten Rasterlocken im Einsatz, Hutzelweibchen, mit zerrissenen Jeans und tief dekolletiert und Musikgruppen jeder Couleur, die einander an Lautstärke überbieten wollen.

„Mädchen hauchen ein Liebeslied ins Mikro. Es erinnert eher an eine Peep-Show.“
Vor dem riesigen Einkaufszentrum befindet sich ein Naturtheater. Auf steinernen Treppenstufen kämpfen Familien um die besten Plätze. Musiker packen soeben ihre Instrumente aus, und ein dreißigköpfiger Schülerchor sortiert sich auf der Bühne. Die Veranstaltung wurde anscheinend von der englischen Oberschicht organisiert, denn nur wenige dunkelhäutige Gesichter sind unter den fast zweihundert Besuchern auszumachen.

Das Orchester spielt recht atonal, viel zu hoch für die ungeübten Sänger, aber stolze Eltern klatschen frenetisch Beifall. Dann treten zwei etwa zehnjährige Mädchen in knappen Shorts und bauchfreiem Top auf. Sie hauchen ein Liebeslied mit dem Refrain „touch me“ ins Mikrofon. Ihrer begleitenden Gestik nach hätte die Darbietung eher in eine Peep-Show gepaßt. Na, über Geschmack läßt sich viel streiten.

Es ist später Nachmittag, als wir unser Zimmer in dem angesagten Luxushotel beziehen: Elegant und geräumig; Blick auf Meer, Yachthafen und Bootsstege, auf denen sich Seehunde faul in der Sonne räkeln. Am hoteleigenen Strand lassen sich Engländer von feingekleideten Kellnern Getränke servieren. Fröhliche „Cheers“-Rufe sind zu hören, und augenblicklich fällt uns unser Begrüßungs-Champagner ein. Die Flasche wird mit lautem Knall geköpft. Aufgeschreckt blicken die Liegestuhlfaulenzer zu uns nach oben, und ich reiße geistesgegenwärtig die Arme hoch und rufe: „No shooting.“

Das gefällt den Tommies. Sie laden uns umgehend ein, und wir lassen uns nicht zweimal bitten. Es wird ein feuchtfröhlicher Abend.