© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 14/19 / 29. März 2019

Pankraz, Fidentinus und der lästige Uploadfilter


Das EU-Parlament in Straßburg hat den Text zur Reform des europäischen Urheberrechts nun feierlich verabschiedet. Doch ändern wird sich dadurch, wagt Pankraz vorauszusagen, überhaupt nichts. Das sogenannte geistige Eigentum von Autoren, Verlegern, der Printmedien insgesamt bleibt weiterhin ungeschützt. Die „Netzwerker“ im Internet werden mit ihm weiterhin machen, was sie wollen, werden es wortwörtlich ins Netz stellen, ohne einen einzigen Cent dafür zu bezahlen, werden mit ihm herumspielen, werden es nach Gusto verbiegen, und kein Uploadfilter wird sie je daran hindern.

Autoren und Verleger wehren sich vergeblich gegen diese „Räubereien“ und „unerlaubten Umdeutungen“, auch wenn sie das ausdrücklich im Namen der in den Gesetzesbüchern aller modernen Nationen verankerten Texte tun. Die EU, sagen sie, soll sich „modernisieren“, sich den nationalen Gesetzgebungen anpassen, um die „ Internet-Piraterie“, wie es heißt, zu beenden und den Urhebern von Texten zu ihrem Recht zu verhelfen. Doch die Macht der Widersacher aus dem Internet ist groß, und sie spielen sich recht erfolgreich als die Repräsentanten der eigentlichen Moderne und der wahren Meinungsfreiheit auf.
Da wird einerseits postuliert, daß es von Natur aus gar kein individuelles Sprachschöpfertum gebe und sich deshalb jeder Internetnutzer beliebig aus vorhandenen Texten bedienen dürfe, ohne den wahren Urheber nennen oder gar dafür bezahlen zu müssen: Andererseits melden sich schlaue Juristen zu Wort, die sich über eine „notwendige Rechtsform“ des Eigentums auslassen – ob es also eine bloß „natürliche Sache“ sei oder doch eine echte „juristische Person“, und deshalb die Verfügungsgewalt über Eigentum, insbesonders geistig-sprachliches Eigentum, in die Hand einer überindividuellen Öffentlichkeit gehöre.

Gegenüber solchem Tohuwabohu wäre zunächst einmal festzuhalten: Eigentum ist Menschenrecht! Es erscheint jedenfalls weit vorne im Text jeglicher historischer Menschenrechtsdeklaration, sei es nun die „Virginia Bill of Rights“ von 1776, sei es die „Erklärung der Menschenrechte“ der Uno von 1948. Das „Recht auf Eigentum“ rangiert dort faktisch gleichberechtigt neben dem „Recht auf Freiheit“ und dem „Recht auf Sicherheit der Person“. Die klassischen Nachdenker über Menschenrechte, von John Locke bis Immanuel Kant, gingen sämtlich wie selbstverständlich von einem fundamentalen Recht auf Eigentum aus.

Und was für das „äußere“, das sogenannte Sacheigentum gilt, das gilt selbstverständlich auch und noch mehr für das „innere“, das geistige Eigentum, über das jetzt auf der Leipziger Buchmesse so viel diskutiert wurde. Um Punkte zu sammeln, wiesen die attackierten Netzwerker darauf hin, daß ihr angeblich ungeniertes Abkupfern sich nicht gegen die Autoren richte, welche in ihren Werken ja nur die allgemeine kollektive Kreativität abspiegelten, sondern gegen die Verleger als durch die Bank geldgierige Ausbeuter in der Printwelt. Printautoren und Internet-Netzwerker seien im Grunde Verbündete.
Wer’s glaubt, wird selig. Es kommt nicht auf Namen an, sondern auf Tatbestände. Wer andere beklaut, ist eben ein Dieb, egal wie er heißt oder was er sonst tut. Gerade im Spiel zwischen Buchbranche und Internet kreuzen die unterschiedlichsten Gegner die Klingen. Keineswegs immer handelt es sich bei den Zugreifern aus dem Internet um „arme“ jugendliche Netz-Enthusiasten. Bei genauer Betrachtung der neuesten Vorgänge sieht man stattdessen vor allem Google & Co. an der Front speziell gegen Artikel 13 der EU-Urheberrechtsreform, weil der ihnen nicht ins ökonomische Konzept paßt.

Auch auf der Autorenseite sind es durchaus nicht immer die Autoren selbst, die „empört“ demonstrieren. Es gibt – außer den von der Gegenseite so böse attackierten Verlegern – Erben und Erbenverwalter. Vermögensberater, Rechteverwerter und Lobbyisten für geistiges Eigentum, Lizenzträger, Patentinhaber … Und beileibe nicht jeder Autor ist mit jedem anderen vergleichbar. Es gibt unter ihnen wissenschaftliche Experimentatoren und versponnene Lyriker, welche die Zusammenarbeit mit einem guten Verleger unbedingt brauchen, um einigermaßen erträglich über die Runden zu kommen.

Lange Zeit mußten die Dichter und Sprachmeister des Abendlandes ganz ohne Verleger auskommen, hatten nicht die geringste Möglichkeit, ihr inneres Eigentum per Gesetz zu Geld zu machen, waren – wenn sie nicht selbst über äußeres Eigentum verfügten – völlig abhängig von freiwilligen Mäzenen, Imperatoren oder mächtigen Senatoren. Sogar im alten Rom des Kaisers Augustus klagte der große Dichter Martial in grimmigen, uns glücklicherweise überlieferten Epigrammen darüber, daß seine Werke ihm dauernd gestohlen würden. Er nannte auch einen Namen. Fidentinus hieß der Dieb; Martial konnte nichts gegen ihn machen.
Wie gesagt, Fidentinus war erkennbar ein schöpferisches Nichts, aber offenbar für die damalige Zeit ein geschickter Adabei und Sichwichtigmacher.  Martial verglich die ihm gestohlenen Verse mit freigelassenen Sklaven, und den räuberischen literarischen Netzwerker Fidentinus nannte er folgerichtig einen hinterhältigen Menschenräuber (lat. „plagiarius“). Von  daher stammt das Wort „Plagiator“. Die Erinnerung an Martial offenbart das ganze Ausmaß der Verlogenheit in der aktuellen Urheberrechtsdiskussion.

Ganze komplizierte Suchmaschinen werden in Bewegung gesetzt, um jeden einzelnen Satz in den Doktorarbeiten mißliebiger Politiker zu untersuchen, ob er nicht doch von irgendwoher geklaut worden ist. Und zur gleichen Zeit rollen große Demonstrationen durch die Straßen und durch die Nachrichten, die dagegen protestieren, daß Google und andere Internetkonzerne per gutgemeintem Gesetz dazu gebracht werden sollen, Uploadfilter bei sich einzurichten! Besser wäre wohl, man richtete endlich Uploadfilter gegen allzu verrückte Politik ein.