© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 14/19 / 29. März 2019

Über die Zeiten hinweg
Dichtung und Wahrheit der Mark Brandenburg: „Spreeland. Fontane“ – Der dritte Teil von Bernhard Sallmanns Fontane-Tetralogie
Sebastian Hennig


Bernhard Sallmann kam zur Fortsetzung seines Studiums 1988 aus Salzburg nach West-Berlin. Dadurch geriet der passionierte Wanderer in eine widersinnige Lage. Er lief „glücklos durch die eingemauerte Stadthälfte und konnte nicht so ohne weiteres auf die andere Seite ins Umland“. Sobald die Mauer gefallen war, begab er sich auf Wanderungen durch die Mark Brandenburg, begleitet von den gleichnamigen Reisebüchern Theodor Fontanes: „Ich durchfurchte die Landschaft – obsessiv. Fontanes Bücher waren am Anfang meist dabei. Das regelmäßige Gehen, jahraus, jahrein, über die Jahre, haben mir die Orte näher gebracht, sie sind in mein Körpergedächtnis eingespeichert.“
Seit fünf Jahren entlädt sich dieser Speicher in einem ungewöhnlichen Filmprojekt. Nach den Teilen „Oderland. Fontane“ (2016) und „Rhinland. Fontane“ (2017) kommt nun „Spreeland. Fontane“ in die Kinos. Und während dieser Film seine Zuschauer erreicht, entstehen bereits im Havelland die Aufnahmen zum letzten Teil der Fontane-Tetralogie. Zuvor hat Sallmann den ungewöhnlich suggestiven Dokumentarfilm „Fastentuch 1472“ (2015) über das Zittauer Fastentuch gedreht.

Hier wie dort dient die Kamera der Stärkung vorgefundener Bilder. Die Aufnahmen ziehen ein Fazit aus anhaltendem Hinschauen. In „Spreeland. Fontane“ bewegt sich anstatt der Kamera das Bild selbst und im Bild die kleinsten Teile. Überflüssiges wird fortgelassen und Unentbehrliches genau beachtet. Weder schriftliche noch mündliche Kommentare binden die Bilder an den literarischen Text, und doch ist ein Zusammenhang offensichtlich. Das Wasser fließt, und die Zweige rauschen. Der Wind streicht durch den Efeu an den gekröpften Alleebäumen. Fahrzeugspuren ziehen sich durch den ausgelaugten Sandboden. Der Originalton aus Vogelsang und Verkehrslärm verstärkt den Eindruck einer geheimnisvollen Gegenwart auch des Vergangenen.

Während der Lesungen verharrt die Szenerie still, oft fließend und horizontal. Wenn die Stimme von Judica Albrecht schweigt, ruht der Blick meist noch lange auf einer Ansicht. Die natürlich wirkenden Aufnahmen verdanken sich sorgfältigen Vorbereitungen. Seinen Drehorten hat sich Sallmann immer wieder aus verschiedenen Richtungen angenähert und dabei genau auf die Wirkungen des Lichts geachtet. Indem er eine Äquidistanz zum Dokumentarfilm und zur Literaturverfilmung einhält, erreicht der Regisseur ein Höchstmaß sowohl an Werktreue wie dokumentarischer Wahrhaftigkeit. Die Landschaft bildet sich einerseits im Film ab. Andererseits läßt sich dieser auch als eine klassische Literaturverfilmung auffassen.

Ehrenmale aus den Befreiungskriegen

Während Fontanes Vorrede ist der Blick auf das gezähmte Wasser gerichtet. Es ist Februar. Entlaubte Bäume und Sträucher flankieren das Ufer. Kaum sichtbar trottet ein Angler am Flußkai ins Bild. Bevor seine Anwesenheit recht zu bemerken ist, kommt ein Bildwechsel. Selten entspricht ein gefilmtes Lokal genau dem im Text beschriebenen. Doch der Atem von Text und Bild geht immer zusammen. Bei der Schilderung der Duberow-Reiherjagden blicken wir von einer Anhöhe auf das Land hinab. Keine Untertitel erläutern uns, worauf der Blick gerade ruht, daß es die Weinhänge am Großräschener Tagebausee, die Skulpturen im Park von Schloß Altdöbern sind, welche die Leinwand füllen.

In Schmöckwitz verweilt die Kamera lange auf dem Genius mit gelöschter Fackel und Lorbeerkranz, der auf dem ruhenden Löwen lagert. Das Kriegerdenkmal wurde erst 1924 errichtet. Was Fontane noch nicht sehen konnte, wird heute dagegen kaum noch wahrgenommen. Der Film kehrt den Anblick heraus und knüpft damit eine Beziehung über die Zeiten. Im Hintergrund fährt eine Berliner Bahn vorbei. Während der Beschreibung der Schmöckwitzer Kirche mit ihren Ehrenmalen aus den Befreiungskriegen bleiben wir draußen, sehen auf die kahle Wand und hören die Glocke schlagen. Der Anblick eines Ehrenmals für die sowjetrussischen Soldaten wird von Zitaten Fontanes aus Kirchenbüchern begleitet.
In Abweichung zum vielzitierten Wort des vormaligen Berliner Bürgermeisters über seine Stadt hält der Schriftsteller fest: „Die Armut kann poetisch sein, die Armseligkeit nie.“ Wir sehen die karge Landschaft. Doch deren Bewohner bleiben zumeist verborgen oder sind nur indirekt anwesend. Von dem Schneidersohn Johann Gottfried Schadow ist die Rede, der Akademiedirektor wurde ohne sich zu verwandeln. Zu sehen sind nicht seine Skulpturen, sondern die gleichgültigen Züge der Landschaft seiner Kindertage, aus denen sie zusammen mit den Anregungen antiker Kunst erwuchsen. Mark Brandenburg und Athen.

Von den „Derbheitsgestalten“ dieses Landstrichs ist die Rede. Zuletzt heißt es: „Auch die Mühle schweigt und der Wind. Alles ist still.“ Zu hören sind der Flügelschlag von auffliegenden Wasservögeln und die Abschiedsworte des Schriftstellers am Ende des Bandes. Während die Flugzeuge starten und landen und die Leute Streß haben, weht der Wind durch das Gras und fließt das Wasser die Spree hinab.

Es ist lohnend, sich diesen visuellen Exerzitien zu unterziehen. Sallmanns Filme bedienen sich der List gegen die alles verzehrende Zeit, wie Fontane sie in seinen Wanderberichten anwendete: Vom Weg aus weite Schneisen in die Vergangenheit schlagen und deren Anblick mit ganz konkreten Zufällen des lichten Augenblicks zurückbinden ins Heute.

Filmstart am 28. März 2019