© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 14/19 / 29. März 2019

Phantasten am Ruder
Volker Weidermann zur Revolution in Bayern 1919
Felix Dirsch


Die Vereinigung von Macht und Geist ist ein alter Traum der Menschheit, der sich nie dauerhaft verwirklichen ließ. Die chaotischen Zustände kurz nach Ende des Ersten Weltkrieges machten es möglich, einen neuen Anlauf zur Realisierung zu wagen. Besonders Bayern diente als Experimentierfeld. Die Philosophenkönige waren diesmal radikal denkende Literaten, die viele linke Ideale, aber wenig Kompetenzen in der politischen Praxis mitbrachten. Volker Weidermann, Spiegel-Redakteur und Leiter der ZDF-Sendung „Das literarische Quartett“ nimmt sich der Thematik an. Die Darstellung ist essayhaft angelegt, ein Inhaltsverzeichnis sucht man vergeblich. Vom Stil her gleicht das Sachbuch eher einem Roman.

Weidermann läßt die führenden Persönlichkeiten der Umbruchszeit und ihres intellektuellen Umfeldes ausführlich zu Wort kommen. Die Ausnahmeperiode dauerte von November 1918 bis April 1919. Kurt Eisner, der langbärtige Ministerpräsident, gab auf der Bühne der bayerischen Landeshauptstadt kurzzeitig den Ton an. Einige Wochen nach seiner Ermordung rief man auch in Bayern die Räterepublik aus. Dichter wie Ernst Toller, kurzzeitig sogar politisches Oberhaupt, Erich Mühsam, Rainer Maria Rilke, Oskar Maria Graf, um nur eine kleine Auswahl zu nennen, prägten das Erscheinungsbild des merkwürdigen politischen Gebildes.

Aber auch die Haltung kritischer Beobachter wie Thomas Mann und des Schriftstellers sowie Gymnasiallehrers Josef Hofmiller wird geschildert. Zu den später prominenten Beobachtern zählte der Romanist Victor Klemperer. Heftige Gegner der Interimsherrschaft, wie Adolf Hitler, der seine Teilnahme am Eisner-Trauerzug verheimlichen wollte, spart der Autor ebenfalls nicht aus. Daß aus der Perspektive bürgerlicher Kreise die Machtübernahme der Phantasten nicht harmlos war, zeigen vor allem die Beziehungen zu den Bolschewisten in Rußland.

Weidermann präsentiert ein kurzweiliges, gut erzähltes Potpourri von Vorfällen, Handlungen und Skurrilitäten aller Art. Die Protagonisten der Ereignisse mutierten bald zu Legenden, der „rechte“ Graf von Arco auf Valley wie der „linke“ Toller. Schnell kehrte nach über fünf ereignisreichen Monaten Normalität ein – zumindest vorläufig.


Volker Weidermann: Träumer. Als die Dichter die Macht übernahmen. Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 2017, gebunden, 288 Seiten,
22 Euro