© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 15/19 / 05. April 2019

Strategie der Nadelstiche
Clan-Kriminalität: Bundesländer intensivieren Kampf gegen kriminelle Großfamilien
Björn Harms

Der Rechtsstaat läßt sich nicht auf der Nase herumtanzen. Das zumindest versprechen der Berliner Innensenator Andreas Geisel (SPD) und sein Amtskollege aus Nordrhein-Westfalen, Herbert Reul (CDU). Die Sicherheitsbehörden ihrer Bundesländer versuchen derzeit alles, um kriminellen arabisch-türkischen Großfamilien das Leben in Deutschland so schwer wie möglich zu machen. Razzien, unangekündigte Kontrollen, polizeiliche Präsenz – der Staat zeigt neuerdings klare Kante. 

Am vergangenen Donnerstag durchsuchten 340 Polizisten in den Berliner Bezirken Neukölln und Mitte zum wiederholten Mal einschlägig bekannte Treffpunkte der Clans. Auch Innensenator Geisel machte sich ein Bild vor Ort. „Wir haben zu lange weggeschaut“, gab der 53jährige am Rande der Razzia zu. „Dadurch haben sich Strukturen verfestigt, die den Rechtsstaat aushöhlen“. 

Eine intensive „Null-Toleranz-Strategie“ soll Abhilfe schaffen. Nicht nur Razzien sind ein Teil dessen, auch die bloße Präsenz soll einschüchtern. Kontaktbeamte des Landeskriminalamts finden sich vereinzelt sogar auf Konzerten Berliner Rapper ein, bei denen häufig Mitglieder der Großfamilien anzutreffen sind. Die Beamten schütteln Hände, versuchen Unruhe in die Welt der Clans zu bringen. Mitunter zeigt sich auch die Verwaltung erfinderisch. Ein Imbiß in Berlin-Neukölln, der zu einer bekannten Großfamilie gehörte, wurde kürzlich vom Bezirk aus Denkmalschutzgründen geschlossen. 

Nicht alle jedoch sind von den Maßnahmen überzeugt. So kritisierte der Berliner FDP-Innenpolitiker Marcel Luthe die jüngste Razzia als „Showveranstaltung“. Statt die Kriminalität „an der Geldquelle – im Drogenhandel und der illegalen Zwangs- und Straßenprostitution – zu bekämpfen, veranstaltet der Innensenator einmal mehr zweifelhafte PR-Termine“, teilte Luthe mit. Die Polizei sei kein PR-Mittel.

In Nordrhein-Westfalen gibt man sich derzeit ähnlich unnachgiebig wie die Berliner Innenbehörde. Am 22. März kontrollierten die Polizei, der Zoll sowie die Ordnungsämter in Velbert und Heiligenhaus mehrere Shisha-Bars, Vereinsräumlichkeiten und Gaststätten. Zwei Wochen zuvor hatten Fahnder nach Durchsuchungen in Dortmund, Lünen, Herten, Hagen und den Niederlanden neun Personen festgenommen. Gegen alle lagen Haftbefehle vor. In Bochum startete am Montag ein Prozeß gegen fünf junge Mitglieder des Miri-Clans. Sie sollen mit Kokain gehandelt und größere Mengen Marihuana importiert haben. Im Rahmen einer großen Polizeiaktion im Oktober letzten Jahres waren die Männer festgenommen worden.

„Diese Menschen sehen  den Staat nur als Beute an“

NRW-Innenminister Reul spricht gern von einer „Strategie der 1.000 Nadelstiche“, mit denen er die schweren Jungs piesacken will. Ganz offen gibt er zu, daß die vorherrschende „Political Correctness“ mitursächlich für das zögerliche Vorgehen gegenüber den Clans war. „Es hieß gleich, man stigmatisiert damit bestimmte Gruppen, und das hat die Politik davon abgehalten“, stellte Reul in der Welt fest.

„Lange Zeit ist dieses Phänomen vollkommen falsch eingeschätzt worden“, beklagte auch der Essener Polizeipräsident Frank Richter im Focus. Seine Stadt hat seit Jahren mit einer ausufernden Bandenkriminalität zu kämpfen. „In diesem Bereich ist die Integration voll gegen die Wand gefahren, weil sich viele dieser Leute gar nicht eingliedern wollen“, so Richter. „Diese Menschen sehen den Staat nur als Beute an.“ Wie aber bekommt man das Problem in den Griff? 

Richters Lösung deckt sich mit den Bemühungen der Innenminister. „Es geht vor allem darum, die wirtschaftliche Basis der Clans anzugreifen, die Geschäfte dieser Leute empfindlich zu stören.“ Denn die Zeit drängt. Ein kürzlich erarbeitetes polizeiliches Lagebild zählt mittlerweile 108 Familienbanden in Nordrhein-Westfalen. Noch im vergangenen November waren die Ermittler von lediglich 50 Clans ausgegangen. 

Auch in anderen Bundesländern werden die Daumenschrauben enger gezogen. Als bislang federführend in der Clan-Bekämpfung gelten vor allem Niedersachsen und Bremen. Die intensive Kooperation zwischen Polizei, Zoll und den Finanzämtern trägt hier erste Früchte. Doch noch immer wissen die Behörden in Deutschland vergleichsweise wenig über die länderübergreifende Vernetzung der Clans. Ein Austausch fand bislang kaum statt. Nun hat das Bundeskriminalamt (BKA) die Bekämpfung der Clan-Kriminalität zur Chefsache erklärt. Ei­ne Ar­beits­grup­pe trägt seit Mo­na­ten die In­for­ma­tio­nen aus den Bun­des­län­dern zu­sam­men und sys­te­ma­ti­siert sie. Bis zum Som­mer will das BKA sein neu­es La­ge­bild zur or­ga­ni­sier­ten Kri­mi­na­li­tät er­stel­len. Zum ers­ten Mal werden dabei „Kriminelle Mitglieder von Großfamilien ethnisch abgeschotteter Subkulturen“ gesondert erwähnt.

Dabei reicht der Arm der kriminellen Familienzweige nicht nur von der Spree, über die Weser bis an die Ruhr und den Main. Das weit verzweigte Clan-Netzwerk verläuft auch international. Gerade in den skandinavischen Ländern ist das Problem seit langem bekannt. Von der polizeibe­kann­ten Ber­li­ner Fa­mi­lie Abou-Cha­ker etwa lebt ein Teil in Dä­ne­mark. Die BKA-Er­mitt­ler in Wies­ba­den setzen auf die Kooperation mit der eu­ro­päi­schen Po­li­zei­be­hör­de Eu­ro­pol, die Er­fah­rung in Ma­fia-Er­mitt­lun­gen hat. Wie die Zusammenarbeit konkret aussehen soll, bleibt abzuwarten. „Wir arbeiten eng mit der Strafverfolgung in Deutschland zusammen“, teilte Europol der JUNGEN FREIHEIT mit. „Und zwar dort, wo unsere Unterstützung einen Mehrwert bringen kann.“