© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 15/19 / 05. April 2019

Zwischen Gefühl und Wirklichkeit
Kriminalstatistik 2018: In Deutschland sinken die Straftaten / Höchste Mordrate seit dem Jahr 2000
Björn Harms / Christian Vollradt

Erneut ist die Zahl der Straftaten in Deutschland stark zurückgegangen. Die am Dienstag vorgestellte Polizeiliche Kriminalstatistik (PKS) für 2018 verzeichnet 5,55 Millionen Straftaten – 5,4 Millionen ohne ausländerrechtliche Vergehen – und weist damit den niedrigsten Wert seit 1992 aus. „Deutschland ist eines der sichersten Länder der Welt“, faßte Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) die Ergebnisse zusammen. Doch eine genauere Betrachtung der Statistik lohnt sich. 

Denn auffällig ist weiterhin der hohe Anteil an nichtdeutschen Tatverdächtigen. Der liegt mit 30,5 Prozent knapp über dem Vorjahresniveau von 30,4 Prozent. Noch vor zehn Jahren lag er bei 18,9 Prozent. Zuwanderer, darunter werden in der PKS Asylbewerber, Asylberechtigte, Geduldete und Illegale gefaßt, sind mit 8,6 Prozent der Tatverdächtigen wie in den vergangenen Jahren überproportional zu ihrer Bevölkerungszahl vertreten. Seehofer beklagte bei der Vorstellung der PKS ein großes „Problem mit Mehrfachtatverdächtigen“, insbesondere aus Maghreb-Staaten, Libyen und zentralafrikanischen Staaten. Sein Ministerium und das Bundeskriminalamt (BKA) würden an einem gemeinsamen Konzept arbeiten, das auch die derzeitigen „aufenthaltsbeendenden Maßnahmen“ genaustens überprüfen soll.

Etwa ein Drittel aller Straftaten entfällt wie in den Vorjahren auf Diebstahlsdelikte, die weiterhin abnehmen. So wurden weniger Fahrzeuge (30.232, minus 9,1 Prozent gegenüber dem Vorjahr) und Fahrräder (292.015, minus 2,7 Prozent) gestohlen. Der Taschendiebstahl nahm erheblich ab. Beim Ladendiebstahl gab es einen Rückgang um 4,1 Prozent auf 339.021 Fälle. Gleichzeitig ist die Zahl der Wohnungseinbrüche in Deutschland unter die Marke von 100.000 gefallen – ein Rückgang von 16,3 Prozent gegenüber dem Vorjahr und der niedrigste Wert seit über 20 Jahren.

Gesunken ist auch die Zahl der Straftaten bei „Vergewaltigungen“ und „sexueller Nötigung“, wenngleich 9.234 Fälle in diesem Bereich noch immer den zweithöchsten Wert bedeuten, der je in einer PKS verzeichnet wurde. Nicht eingerechnet ist dabei der Ende 2016 geschaffene Straftatbestand der sexuellen Belästigung. Während 2017 rund 9.600 Belästigungen erfaßt wurden, waren es 2018 bereits knapp 13.700 – eine Steigerung von über 40 Prozent.

Widerstand gegen Staatsgewalt nimmt zu

Gleichzeitig verzeichnet die PKS mit 901 Fällen die höchste Mordrate seit dem Jahr 2000. Zum Vergleich: 2017 lag die Zahl bei 785 Morden, ein Jahr zuvor bei 761. Knapp 15 Prozent der Tatverdächtigen gehören zur Gruppe der Zuwanderer, wobei Asylbewerber mit 9,8 Prozent das Gros stellen. Einen ebenfalls deutlichen Anstieg gibt es beim Tatbestand „Widerstand gegen die Staatsgewalt“, wo sich die Fallzahl im Vergleich zum Vorjahr um 39 Prozent erhöhte. Bei Zuwanderern haben sich die Angriffe auf Staatsbedienstete sogar mehr als verdoppelt. Allerdings wurden hier im Mai 2017 die Gesetze verschärft und neue Straftatbestände geschaffen.

Doch wie aussagekräftig ist die PKS? Das BKA gibt selber zu, daß die vorgelegte Statistik die tatsächliche Kriminalitätslage in Deutschland nicht vollständig abbildet. Der Bericht beleuchte „nur die Kriminalität, die die Polizei im vergangenen Jahr aus ihrer Sicht zu Ende bearbeitet hat“, kritisiert auch der Vorsitzende des Bundes Deutscher Kriminalbeamter, Sebastian Fiedler. Insbesondere den Entwicklungen in der Rauschgiftkriminalität werde die PKS nicht im Ansatz gerecht. „Wir stellen fest, daß wir es derzeit mit einer Rauschgiftschwemme zu tun haben, weil wir nicht viele Ressourcen in diesem Bereich einsetzen, uns aber dennoch die Drogen buchstäblich vor die Füße fallen.“ 

Ähnlich äußert sich auch der Parlamentarische Geschäftsführer der AfD-Bundestagsfraktion, Bernd Baumann. „Die gefühlte Kriminalität hat oft mehr mit der Wirklichkeit zu tun als die Statistik“, erklärte er gegenüber der JUNGEN FREIHEIT. 

Passend dazu legte BKA-Chef Holger Münch bei der Vorstellung der PKS auch die Ergebnisse des „Deutschen Viktimisierungssurvey 2017“ vor, den seine Behörde gemeinsam mit dem Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht erarbeitet hat. Das komplizierte Wort, über das sich sogar Seehofer schmunzelnd mokierte, übersetzte sein Chef-Kriminalist mit „Befragung zum Opferwerden“. Münch nannte es eine sinnvolle Ergänzung zur Ermittlung des Dunkelfelds. Zwar seien die Zahlen nicht direkt mit dem in der Kriminalitätsstatistik wiedergegebenen Hellfeld vergleichbar, doch könne beides zusammen die Kriminalitätsbelastung der Deutschen umfassender darstellen. 

Rund 30.000 Personen befragten die Wissenschaftler von Juli 2017 bis Januar 2018. Dabei kam heraus, daß eine Mehrheit sich in Deutschland eher oder sehr sicher fühlt, dieses Sicherheitsempfinden ist jedoch im Vergleich zu 2012 geringfügig zurückgegangen (von 82,8 auf 78,6 Prozent). Umgekehrt stieg der Anteil derer, die sich eher oder sehr unsicher fühlen an (von 17,3 auf 21,4 Prozent) Bei allen Deliktfeldern besteht ein signifikanter Unterschied zwischen der Risikoeinschätzung und der Furcht. Das bedeutet, die befragten Personen geben zwar an, stark beunruhigt über bestimmte Kriminalitätsformen (etwa Körperverletzung, Einbruch, sexuelle Belästigungen oder Terrorismus) zu sein, schätzen hingegen das eigene Risiko, selbst Opfer zu werden, relativ gering ein. 

Der Anteil der Bevölkerung, der sich nachts in der Wohngegend unsicher fühlt, ist von 17 Prozent im Jahr 2012 um fünf Prozentpunkte auf 22 Prozent zum Ende 2017 gestiegen. Zugenommen hat insbesondere das Unsicherheitsgefühl von Frauen. Die Sicherheitskräfte genießen weiterhin hohes Ansehen. Der überwiegende Teil der Bevölkerung  (83,3 Prozent) ist der Meinung, daß die örtliche Polizei gute Arbeit bei der Verbrechensbekämpfung leistet.