© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 15/19 / 05. April 2019

Mehr Investitionen über „gesamtstaatlichen Sonderhaushalt“?
Schuldenbremse adieu
Dirk Meyer

Das Haushaltsrecht gilt als Königsrecht des Parlaments. Deshalb erstaunt es, daß sich der Bundestag 2009 eine selbstbindende Schuldenbremse auferlegt hat. Traut er sich selbst nicht über den Weg? Lag die Staatsschuldenquote gemessen am Bruttoinlandsprodukt (BIP) 1991 noch bei 38 Prozent, so stieg sie infolge der Finanzkrise 2010 auf 80 Prozent, um aktuell mit 60,4 Prozent die Maastricht-Vorgabe knapp zu erfüllen. Als Hauptursache wird gemeinhin auf die Neuregelung der Grundgesetzartikel 109 und 115 verwiesen. Sie setzt den EU-Fiskalpakt (2012) um und erhebt einen ausgeglichenen Etat ohne Neuverschuldung zur Leitlinie. Der Bund darf ein strukturelles Defizit von höchstens 0,35 Prozent des BIP aufweisen. „Strukturell“ heißt: Bei konjunktureller Schieflage darf es etwas mehr sein, allerdings ist dies in zukünftigen Jahren wieder auszugleichen.

Michael Hüther, Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft, hat die Schuldenbremse in Frage gestellt (JF 13/19). Der Konsolidierungserfolg würde vornehmlich auf der guten Konjunktur beruhen. Sie lasse die Steuereinnahmen sprudeln – Kaufkraft, die dem Bürger entzogen wird. Außerdem sanken die Zinsausgaben des Staates infolge der Niedrigzinsen. Zeitgleich habe sich die Struktur der Staatsausgaben verschoben. Der Staatskonsum – Verwaltung, Personal, Bundeswehr, Straßenunterhalt – steige, während die staatlichen Investitionen rückläufig seien. Sprich: Nicht die Schuldenbremse, sondern die Konjunktur und ein Investitionsstau hätten vermeintliche Erfolge gezeitigt. Diese Analyse deutet auf ein Zukunftsversagen unserer Demokratie hin. Der Medianwähler war bei der letzten Bundestagswahl 52 Jahre alt: 50 Prozent der Wähler waren älter als 52 und beteiligten sich zudem stärkerem Maße an Wahlen. In der Folge lassen sich Wahlen vornehmlich mit Themen wie Rente, Gesundheit, Pflege gewinnen. Die Zukunftsfähigkeit hängt jedoch von Investitionen in Bildung, den Ausbau digitaler Netze und Verkehrswege sowie den Umweltschutz ab.

Hüther schlägt einen bundesstaatlichen Sonderhaushalt vor, der die Investitionen über Kredite finanzieren soll. Damit knüpft er an die „Goldene Regel in der Finanzpolitik“ an, die die öffentliche Neuverschuldung auf die Höhe der öffentlichen Bruttoinvestitionen nach Abzug von Abschreibungen begrenzt.

Die Probleme liegen im Detail. Ein „Investitions- und Innovationsrat“ könnte zur Machtzentrale einer staatlichen Innovations- und Investitionssteuerung werden. Länder und Kommunen würden an Einfluß verlieren. Ein Großteil der Bildungsausgaben sind Personalausgaben und zählen ebenso zum Staatsverbrauch wie Investitionszuschüsse und die Straßenunterhaltung. Sie könnten nicht im Vermögenshaushalt geführt werden. Fazit: Idee gut – Durchführung überdenkenswert.






Prof. Dr. Dirk Meyer lehrt Ökonomie an der Helmut-Schmidt-Universität Hamburg.