© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 15/19 / 05. April 2019

Vom Balkanesel zum Verkaufsschlager
Autoindustrie: Die Produktion im einstigen Ostblock feiert Erfolge / Zu wenig Fachkräfte in Rumänien?
Erich Leitner

Rumänien spielte im einstigen Ostblock eine gewisse Sonderrolle: Obwohl seit 1955 Warschauer-Pakt-Mitglied, war dessen Armee weder an der Niederschlagung des Ungarnaufstandes 1956 noch an der des Prager Frühlings beteiligt. Diktator Nicolae Ceausescu verurteilte den Truppeneinmarsch am 21. August 1968 öffentlich als „schweren Fehler“ und ernste Gefahr für „das Schicksal des Sozialismus in der Welt“. Das beeindruckte westliche Politiker, es sorgte für den Kreditfluß und ließ sie über die Brutalität des KP-Regimes hinwegsehen. Und als einziger im Ostblock hatte Ceausescu keine sowjetische TU-154 oder IL-62, sondern eine langstreckentaugliche Boeing 707-3K1C (YR-ABB) als Präsidentenmaschine. Ab 1974 gab es sogar eine Direktverbindung von Bukarest nach New York.

Automatikgetriebe aus Siebenbürgen für Mercedes

Im Autobau wurden hingegen erst vor elf Jahren wieder Bande nach Amerika geknüpft – Ford übernahm das Oltcit-Werk (1976 mit Citroën gegründet) vom damaligen südkoreanischen Eigner Daewoo. Dabei hatte Ford bereits ab 1935 Autos in Bukarest gebaut. Doch diese Fabrik wurde nach dem Zweiten Weltkrieg von den Kommunisten enteignet. Ceausescu lehnte 1966 eine Partnerschaft mit Ford ab und ließ ab 1967 von dem französischen Staatskonzern Renault in Colibasi (heute Mioveni) in der Großen Walachei (Muntenia) eine Autofabrik aufbauen. Hier wurden Renault 8 (Dacia 1100) und Renault 12 (Dacia 1300) gebaut. Nach dem Lizenzablauf 1978 wurden auch Kombis und Pickups auf Renault-12-Basis mit selbstproduzierten Teilen gefertigt – mit zunehmend unterirdischer Qualität, wie Käufer in Ungarn oder der DDR beklagten.

Nach dem blutigen Ende des Ceausescu-Regimes wurde ab 1990 wild privatisiert und das Land deindustrialisiert. Gleichzeitig investierten aber ausländische Zulieferer in Rumänien: Es begann mit Kabelsystemfertigungen durch Firmen wie Leoni, Dräxlmaier und Delphi. Es folgten Hersteller von Zahnrädern und Wälzlagern, Elektrik, Beleuchtung, Batterien sowie von Komponenten aus Kunststoff und Gummi – dank niedrigem Lohnniveau und bei zunächst noch guter Arbeitskräfteausbildung. Es gab eine Kooperation mit Bildungseinrichtungen und eine verläßliche Energiebasis. Die Transport­infrastruktur verbesserte sich durch staatliche und EU-Beitrittshilfen. Eine Unternehmensgewinnsteuer von 16 Prozent lockte Investoren wie Adient, Bosch, Continental, Honeywell, Infineon, Pirelli oder Schaeffler an.

Im siebenbürgischen Kudschir (Kudzsir/Cugir) wurde 2001 die Daimler-Tochter Star Transmission gegründet, um von dort Zahnräder, Wellen sowie Komponenten für Motoren, Getriebe und Lenkungen zu beziehen. Aus dem benachbarten neuen Werk in Mühlbach (Szászsebes/Sebes) kamen seit 2013 Fünfgangautomaten und 7G-Doppelkupplungsgetriebe für Mercedes. 2016 wurde die 9G-Tronic-Produktion von Untertürkheim nach Mühlbach verlegt. Daimler investierte 300 Millionen Euro und beschäftigt heute an beiden Standorten 3.000 Mitarbeiter. Die rumänische Autoindustrie erwirtschaftet mit 600 Firmen und über 200.000 Beschäftigten einen Umsatz von umgerechnet 24 Milliarden Euro (davon 17 Milliarden für Komponenten) und ist zu einem Viertel am rumänischen Gesamtexport beteiligt.

Im Westen einst belächelt und im Osten als „Balkanesel“ verflucht, sind heute Autos „Made in Romania“ auf deutschen Straßen nicht mehr wegzudenken – trotz mäßiger Qualität und angejahrter Technik. Vor 20 Jahren übernahm Renault Dacia, und die Franzosen bauten darauf eine globale Billigmarke auf – mit Produktionsstätten nicht nur in Rumänien, sondern auch in Brasilien, Indien, Iran, Kolumbien, Rußland sowie Südafrika und einer Jahresproduktion von etwa 1,4 Millionen Fahrzeugen.

Billige Dacias verdrängen Japaner und Franzosen

In Deutschland hat Dacia 2018 insgesamt 71.746 Autos abgesetzt und Marken wie Peugeot (68.237), Mazda (67.387), Kia (65.797), Citroën (55.223), Mitsubishi (50.803), Nissan (50.366), Volvo (45.405) oder Suzuki (37.530) hinter sich gelassen und zu Fiat aufgeschlossen (81.460). Der SUV Duster (22.664) verkaufte sich besser der Opel Crossland X (22.217) und fast so gut wie der verwandte Renault Captur (23.834). Der Dacia Sandero lag im Europaranking mit 216.306 Verkäufen (+8 Prozent) knapp hinter dem Opel Corsa (217.036/-7 Prozent) auf Rang elf.

Die 21.684 in Deutschland verkauften Mini-SUV EcoSport stammten von Ford România aus Krajowa (Királyi/Craiova). Künftig sollen – dank eines weiteren Ford-Modells und einer auf 6.000 aufgestockten Mitarbeiterbasis – 200.000 Ford aus der Kleinen Walachei (Oltenia) auf die Weltmärkte rollen. Auch die lauten Ein-Liter-Dreizylindermotoren in Fiesta, Focus und Mondeo sind „Made in Romania“. Mit 476.769 produzierten Fahrzeugen lag das Land zwar hinter Europameister Deutschland (5,1 Millionen), der Tschechei (1,34 Millionen), der Slowakei (1,1 Millionen), Italien (995.807) oder Polen (653.741), aber vor Ungarn (430.988), Portugal (289.032) und Belgien (265.958).

Trotz dieser Erfolge gibt es erste Schwächezeichen: Die japanische Firma SEWS gab ihre Kabelfertigung im siebenbürgischen Broos (Szászváros/Orastie) auf, Joyson (Gurte und Airbags) bereitet die Fabrikschließung in Kurtitsch (Kürtös/Curtici) an der ungarischen Grenze vor, Yazaki in Urlati im einstigen Erdölbezirk Ploiesti schrumpft seine Kapazität, und Krombert & Schubert (Autoelektrik) in Mediasch (Medgyes/Medias) bei Hermannstadt reduzierte sein Personal. Fachkräfte sind in Rumänien inzwischen Mangelware.

Die duale Berufsausbildung wurde nach der Wende aufgegeben. Die Bevölkerung schrumpfte seit 1989 demographie- und auswanderungsbedingt um 3,9 auf jetzt 19,5 Millionen. Der Mindestlohn verdoppelte sich innerhalb von fünf Jahren auf 430 Euro. Die Inflation schnellte von 1,35 (2017) auf 4,65 Prozent (2018) hoch. Was einerseits Investoren verschreckt, dürfte andererseits nicht ausreichen, um die nach Norden und Westen abgewanderten Fachkräfte zur Rückkehr in die Heimat zu bewegen.

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