© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 15/19 / 05. April 2019

„Wir können nicht alle endlos glücklich machen“
Luftfahrtgipfel: Auch im kommenden Sommer drohen weiter erhebliche Störungen im deutschen Flugverkehr / Politik reagiert hilflos
Christian Schreiber

Vorigen Donnerstag fand der von Pkw-Maut, E-Autoladestationen und oberbayerischen Flugtaxi-Attrappen (JF 12/19) eingespannte Verkehrsminister Andreas Scheuer endlich Zeit, sich um handfeste Probleme zu kümmern. Nein, es ging nicht um das hochbezahlte Führungschaos bei der Deutschen Bahn oder das Bahnhofsmilliardengrab „Stuttgart 21“, sondern um den sich abzeichnenden zweiten „Chaos-Sommer“ im Luftverkehr.

Doch wie beim Hauptstadtflughafen BER, der eigentlich 2011 seinen Betrieb aufnehmen sollte, gab es beim zweiten Luftfahrtgipfel in Hamburg nur Sprechblasen: „Alle Akteure haben Maßnahmen ergriffen“, erklärte der gastgebende Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD), „wir sind aber nicht ganz sicher, wie schnell diese Maßnahmen greifen.“ CSU-Minister Scheuer meinte: „Wir sind bemüht, aber wir können für den Sommer 2019 nicht alle endlos glücklich machen.“ Wegen des wachsenden Flugverkehrs müsse man „mit Ruckeleien in den Betriebsabläufen rechnen“, und es werde „das eine oder andere Gewitter am Himmel zu überstehen sein“.

Und während Manfred Weber, der CSU-Spitzenkandidat für die Europawahl, mit einer „globalen Bepreisung der Treibhausgasemissionen“ (JF 14/19) Flugreisen für Normalverdiener unbezahlbar machen möchte, rechnet die personell unterbesetzte Deutsche Flugsicherung (DFS) mit einer vierprozentigen Steigerung der 2018 auf 3,4 Millionen angewachsenen Flugbewegungen im heimischen Luftraum. Die Verspätungen und Annullierungen werden zunehmen.

Die privaten Sicherheitsdienste haben hohe Krankenstände und sind oft unprofessionell. „Es ist damit zu rechnen, daß es auch im Sommerflugplan 2019 wieder zu Unregelmäßigkeiten kommt, die der Schlichtungsstelle viel Arbeit bescheren“, glaubt Heinz Klewe, Chef der Schlichtungsstelle für den öffentlichen Personenverkehr (SÖP). Viele Airlines kämpfen mit logistischen Problemen, vor allem nach der Air-Berlin-Pleite 2017. Die Maschinen, ihre Piloten, das Bodenpersonal und die Fluggäste mußten von der Konkurrenz übernommen werden, in der Branche ist von einem „ungesunden Wachstum“ die Rede.

Zahl der Flugpassagiere verdoppelt sich weltweit

Im Februar hat es die bei Urlaubern beliebte Berliner Fluggesellschaft Germania erwischt. Die bis dahin viertgrößte Fluglinie Deutschlands hatte nur eine geleaste Flotte von insgesamt 34 älteren Boeing 737 und Airbus 319/320/321, aber die aus der Insolvenz entstehenden Ausfälle sorgen für neue Schwierigkeiten. Die jüngste Pleite der isländischen WOW Air, die Europa und Israel durch elf kostenkünstige Airbus 320/321 via Reykjavík mit Kanada und den USA verbunden hat, verschärft die Lage weiter.

Flugverspätungen und -ausfälle könnten daher wieder schon zu Ostern an der Tagesordnung stehen. Damit rechnet sowohl der Bundesverband der Deutschen Luftverkehrswirtschaft als auch die Hannoversche TUIfly. Der Vorstandsvorsitzende Oliver Lackmann klagte im Tagesspiegel: „Wir haben nach wie vor Engpässe bei der Flugsicherung und sehen weiterhin logistische Schwierigkeiten an den Airports bei gleichzeitigem Wachstum des Luftverkehrs. Das läßt sich nicht von heute auf morgen ändern.“ Der kommende Sommer werde seiner Meinung nach zu einer Herausforderung für alle. Klaus-Dieter Scheurle, Chef des Luftverkehrsverbandes BDL, glaubt ebenfalls, daß der Sommer erneut schwierig werden könnte: „Obwohl Airlines, Flughäfen und Flugsicherung alles unternehmen, damit sich das Chaos des letzten Sommers nicht wiederholt.“

Das Jahr 2018 geht als schwarzes in die Annalen der deutschen Passagierluftfahrt ein. An deutschen Airports hatten Zehntausende Flüge eine Verspätung von über einer Stunde. Mehr als 19.000 Starts wurden abgesagt. „Am Himmel wird es eng, und das spüren wir“, klagt Minister Scheuer. Seine 25 „Sofortmaßnahmen“ vom ersten Luftfahrtgipfel waren Augenwischerei. Die Gewerkschaft der Fluglotsen (GdF) rechnet mit keinerlei Verbesserung: „Sollte sich der Verspätungsanteil der DFS in diesem Jahr nicht mehr als verdoppeln, so könnte man das schon als einen Erfolg bezeichnen – allerdings erscheint diese Erwartung unrealistisch“, erklärte der Bundesvorsitzende Matthias Maas gegenüber dem Internetportal der ARD-„Tagesschau“. Der Airline-Verband IATA schätzt, daß sich trotz Klimahysterie die Zahl der Flugpassagiere in den kommenden 20 Jahren weltweit verdoppeln wird. Dies könne bedeuten, daß sich bis zum Jahr 2040 die Zahl der um bis zu zwei Stunden verspäteten Flüge voraussichtlich versiebenfachen werde.

Schlichtungsstelle für den Personenverkehr:  soep-online.de

Deutsche Flugsicherung GmbH:  www.dfs.de