© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 15/19 / 05. April 2019

Auf Kosten der Redlichkeit
Wie der Arbeitskreis katholischer Sozialethiker seinen wissenschaftlichen Ruf verspielt oder Der traurige Versuch einer Ächtung der Zeitschrift „Die Neue Ordnung“
Jürgen Liminski

Auf einer Jubiläumsveranstaltung der Zweimonatsschrift Die Neue Ordnung, die vom Institut für Gesellschaftswissenschaften Walberberg herausgegeben wird, gewährte der seit fast 35 Jahren amtierende Chefredakteur und Dominikanerpater Wolfgang Ockenfels einen frohen Blick in die Zukunft der Zeitschrift. Sie sei dank großzügiger Spenden so gesichert, daß sie „noch viele Jahre erscheinen könnte, auch ohne Leser“.

Der Scherz hatte einen seriösen Hintergrund: Die Zeitschrift ist unabhängig, auch von Kirchensteuergeldern. Sie kann deshalb eine Haltung vertreten, die sich wissenschaftlich sauber an der Tradition und neuesten Erkenntnissen orientiert. Die Linie ist, grob vereinfacht, das Naturrecht und Gemeinwohl als Fundament der katholischen Soziallehre. Dieses Fundament ist übrigens auch den Lehrschreiben der Päpste zur christlichen Gesellschaftslehre eigen – was man von den Schriften mancher katholischer Theologen heute nicht mehr sagen kann.

Harte Vorwürfe ohne jeden Beleg

Diese Linie nun stößt offenbar Universitätskollegen von Professor Ockenfels auf, die die ohnehin schon kleine Truppe der katholischen Soziallehrer auf dem Kasernenhof des politisch korrekten Diskurses in linksgrünen Quadraten marschieren sehen möchten. Der Arbeitskreis Christliche Sozialethik, ein Zusammenschluß von Akademikern, die an katholischen Theologie-Fakultäten eben diese Ethik lehren sollten, hat ihre Mitglieder aufgerufen, die Zeitschrift und ihren Chefredakteur zu ächten. Verantwortlich dafür zeichnet die AG-Sprecherin Marianne Heimbach (60), Theologin und Direktorin des Instituts für Christliche Sozialwissenschaft an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster.

Dieser Aufruf offenbart ein Denken, das man eher in Nordkorea oder Saudi-Arabien verorten würde. Einer der „Päpste“ der christlichen Gesellschaftslehre und Mitglied im Redaktionsbeirat der Neuen Ordnung, der Sozialwissenschaftler Manfred Spieker, meint denn auch: „Ich hätte nicht gedacht, daß sich die AG Christliche Sozialethik auf dieses Niveau begibt. Den Kollegen verbieten zu wollen, in der Neuen Ordnung zu publizieren, die Bibliotheken zum Boykott der Zeitschrift aufzurufen und auch noch an die Provinz Teutonia des Dominikanerordens zu appellieren, ihr Mitglied Ockenfels zu reglementieren, das riecht schon sehr nach Bücherverbrennung.“ Seine Empfehlung: den Appell „in den Papierkorb werfen“.

Im einzelnen werfen die sich ethisch korrekt dünkenden Kollegen der Neuen Ordnung „mangelnde wissenschaftliche Substanz“, „zugespitzte Meinungsäußerungen“, „Pauschalkritik“ an den Medien, insbesondere dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk, islamophobe Äußerungen, Rechtspopulismus, Leugnung des Klimawandels und anderes mehr vor, ohne jedoch Belege dafür zu bringen. Es handelt sich bei dem Appell also um eine Pauschalkritik, um eine zugespitzte Meinungsäußerung, um ein Pamphlet ohne wissenschaftliche Substanz. Ein Bumerang.

Auf Anfrage der JUNGEN FREIHEIT, wie er die Anwürfe bewerte, antwortet deshalb ein anderes Mitglied des Redaktionsbeirates, der Kirchenhistoriker Stefan Heid, ziemlich verwundert über die Anmaßung der AG als  „Zensuraufsichtsbehörde“: „Es ist eine unfaßbare Art der Debattenkultur, intellektuelle Konkurrenz seitens der Kollegen für unwissenschaftlich zu erklären. Ich wundere mich, daß diese Vereinigung doch wohl hochwerter Persönlichkeiten so pauschal, ohne jeden Beleg, gesinnungsethische Urteile fällt und ein exklusives, monopolisierendes Wissenschafts- und Publikationsmodell zu propagieren scheint, das ich nur schwer mit der großen Idee der Freiheit der Forschung zusammenbringen kann.“

Ausgrenzung schadet der Debattenkultur

Der katholische Publizist Martin Lohmann, ebenfalls Mitglied im Beirat, teilte der jungen freiheit mit, er halte die Attacke für „absurd und infantil“, sie sei „peinlich für die Initiatoren“, entbehre „jeder wissenschaftlichen Redlichkeit“. Man betone eine „gewachsene Pluralität“, wolle aber „Maßnahmen radikaler Denunziation gegen einen vermeintlichen Abweichler selbstdefinierter Meinungshoheit. Man suggeriert Freiheitsliebe, fordert aber diktatorisch Sanktionen gegen einen vermeintlichen Störenfried und greift zu geradezu populistischer Diffamierung. Man gibt Sorge um die Soziallehre vor, urteilt aber ohne Dialog mentalextremistisch ab und wünscht sich Bestrafung und Ausgrenzung. Was für ein erbärmliches Niveau so genannter Ethiker!“ Lohmann sieht in dem Vorgehen eine „Bankrotterklärung mit Hang zur Argumentationsphobie derer, die sich den notwendigen Umgang mit dem Naturrecht nicht mehr (zu)trauen“. Genau das aber wäre so dringend erforderlich.

Professor Heid macht sich Sorgen, ob nun namhafte Autoren wie Norbert Blüm, Peter Schallenberg, Hans Maier, Wolfgang Bergsdorf, Hanna-Barbara Gerl-Falkovitz, Lothar Roos, etliche Kardinäle – man könnte hier ein kleines Who’s who der katholischen Soziallehre aufmachen – auch geächtet werden sollen. Er fragt: „Wird man nun auch andere Zeitschriften auf den Index setzen, in denen diese hoch angesehenen Persönlichkeiten publiziert haben? Wird man vor ihnen warnen und die Menschen davon abhalten, zu ihren Vorträgen zu gehen? Wird man ihre Stimme verbieten, wenn es um die großen Themen Migration, Marktwirtschaft, Hochschulförderung und anderes geht?“ Die Sorge ist begründet.

Es bedarf keiner wissenschaftlichen Erklärung, daß Ächtung und Ausgrenzung statt Diskussion der Debattenkultur in diesem Land, dem Austausch kontroverser Meinungen und damit auch der Demokratie einen erheblichen Schaden zufügt. Die AG Christliche Soziallehre verhält sich hier wie manche politische Stiftung und andere Institutionen des politisch-medialen und kirchlichen Establishments: Wer den immer enger werdenden Korridor der vermeintlichen Meinungsmehrheit verläßt, sieht sich eben nicht Argumenten, sondern Gesinnungen gegenüber. Es ist ein Phänomen, das der Vater der Massenpsychologie, Gustave Le Bon, schon vor mehr als 120 Jahren beschrieb. In der Masse, so der Gelehrte, „gilt die Forderung mehr als die Vernunft, zählt das Prestige mehr als die Kompetenz, wirkt das Bild mehr als die Idee, hat die Behauptung mehr Gewicht als der Beweis und verbreitet sich ein Glaube mehr durch Ansteckung denn durch Überzeugung“.

Es wäre eigentlich die Aufgabe der Intelligenzija eines Landes, solche irrationalen Prozesse zu dämpfen und zu versachlichen. Das geschieht in der Zunft der christlichen Sozialethiker offenbar nicht (mehr). Im Gegenteil. Man verübelt dem Kollegen, daß er sich nicht empört – gegen die AfD, gegen den Klimawandel, über die Migration – Dogmen eines, wie Ockenfalls sagt, „säkular-politischen Glaubensersatzes, dem inzwischen sogar die Kirchen Weihrauch spenden“. Daß der Dominikanerpater in das Kuratorium der AfD-nahen Desiderius-Erasmus-Stiftung eingetreten ist, ist für die Kollegen aus der Arbeitsgemeinschaft folgerichtig eine Art Häresie. Daß Ockenfels in solchen Gremien mehr Chancen sieht, dem Naturrecht zur Geltung zu verhelfen als in den anderen Stiftungen, kommt ihnen nicht in den Sinn. 

Für die vermeintlich gute Sache lügen

Wie reagiert der Chefredakteur der Neuen Ordnung selbst? Auf Nachfrage der jungen freiheit wollte er sich dazu nicht äußern, und dem Deutschlandfunk, der in den Chor der Kritiker einstimmte, sagte er nur: Kein Kommentar. Wer ihn kennt, wird seine Meinung zwischen den Zeilen seines Editorials der jüngsten Ausgabe der Neuen Ordnung entdecken. Es steht unter dem Titel „Lügen für die Wahrheit“ und befaßt sich prima vista mit den Reaktionen der Leitmedien zum Fall Relotius. Ockenfels sieht in dem „amourösen Verhältnis Relotius-Spiegel und Konsorten“ eine Geistesverwandschaft. Sie logen alle für die vermeintlich gute Sache, für eine politische Wahrheit. An dieser Wahrheit, an „diesen politisch-theologischen Dogmen der Migration und des Klimawandels“ dürfe natürlich nicht gerüttelt werden.

Die Neue Ordnung aber rüttelt. Und sie wird weiter rütteln. Denn Ockenfels sieht in Relotius den Prototyp einer Mischung: „Es ist die sozialpsychologisch interessante Verbindung von deutscher Sentimentalität und Brutalität. Das passende Format dazu liefert die quasireligiöse Inbrunst, mit der sachliche Fragen wie Immigration und Klimawandel in den Status von Glaubensentscheidungen erhoben werden. Wer in solchen, empirisch falsifizierbaren und revidierbaren Fragen es sich frecherweise erlaubt, anderer begründbarer Auffassung zu sein, riskiert den Ausschluß aus einer religiös-politischen und auch wissenschaftlichen Kommunität.“

Der Appell gegen die Neue Ordnung ist symptomatisch. Man will die alte Ordnung der linksliberalen Gesellschaft bewahren und koste es die christliche Wahrheit.

Kontakt: Die Neue Ordnung, hrsg. vom Institut für Gesellschaftswissenschaften Walberberg e.V., Simrockstr. 19, 53113 Bonn.

 www.die-neue-ordnung.de