© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 15/19 / 05. April 2019

Der Flaneur
Ein bißchen Budenschwung
Paul Leonhard

Die Sonne lacht. Die ersten Blüten sprießen aus dem grünen Rasen. Mein Kaktus auf der Fensterbank trägt schon länger seine zartrosanen Blüten. 

Der Staubsauger schnurrt über den Teppich wie nebenan die Katzen auf Nachbars Balkon, deren Augen begierig nach den frohgemuten Sängern im Geäst spähen. Ich bin allein. Die Frau ist mit den Kindern flanieren gegangen. „Mach mal ein bißchen Budenschwung“, hat sie zum Abschied gesagt und mir einen Kußmund zugeworfen.

Der Abwasch ist erledigt. Die Waschmaschine schaltet gerade in den nächsten Gang. Von der Bürste des Staubsaugers ziehe ich einen langen Flansch schwarzer und roter Haare. Rote Haare? An der Innentür der Duschkabine entdecke ich flächendeckendes Rot, auch an der Unterseite des Waschbeckens. Aha, da hat sich jemand heute morgen die Haare gefärbt, und ich Ignorant habe nichts bemerkt. 

Gerade als ich mit Putzen durch bin, habe ich erneut Schokoladen-reste an der Hand.

Ich schüttle eine Decke aus. Ein dunkler Klecks bleibt hängen, klebt zäh an den Fasern. Igitt, ein Bonbon. Daneben klebt noch einer. Das kommt davon, wenn man Kinderwünschen nachkommt und sie mit ihrer Beute unbeaufsichtigt abziehen läßt. Gleiches betrifft die Schokoladenspuren, die ich an vielen, nicht sofort einsehbaren Orten in der Wohnung entdeckte. Sie kommen schier überall vor, allerdings nur bis zu einer Höhe von einem Meter. Irgendwann glaube ich durch zu sein. Da die Waschmaschine noch rumpelt, die Sonne noch scheint, hole ich mir ein Bier, eine Decke und den Liegestuhl auf die Terrasse. Ich entfalte ihn und etwas klebt an meiner Hand: Schokoladenreste zwischen den Scharnieren. Wie kann das denn sein? Ich putze erneut. 

Da öffnet sich die Wohnungstür. Die Kinder stürmen herein. Meine Frau nimmt mir das noch geschlossene Bier dankend aus der Hand, steuert den Liegestuhl an und deutet grinsend auf die Kleinen: „Hier, deine Kinder.“