© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 16/19 / 12. April 2019

„Wir müssen handeln!“
Die globale Plastikverschmutzung hat katastrophale Ausmaße erreicht. Dennoch ist es nicht zu spät, so Ökoexpertin Tamara Galloway
Moritz Schwarz

Frau Professor Galloway, wie lange schon ist die Plastikmisere der Ozeane bekannt?

Tamara Galloway: Die ersten Berichte darüber stammen aus den Achtzigern.

Warum hat die Öffentlichkeit dann erst in den letzten Jahren davon erfahren? 

Galloway: Eine Erklärung ist, daß wir damals mit richtig gefährlichen Stoffen in den Meeren zu tun hatten, wie verklapptem Öl oder Schwermetallen. Plastik ist wenigstens nicht per se giftig. Seit wir jedoch diese Verschmutzungen erheblich reduzieren konnten, rückt das Plastikproblem, etwa in Gestalt des Mikroplastiks, immer mehr in den Fokus. Übrigens haben wir es auf diesem Wege überhaupt erst entdeckt: In den Proben, die wir wegen der Umweltgifte in den Meeren nahmen, entdeckten wir plötzlich mikroskopische Kunststoffpartikel.

Was ist das Problem dieses Mikroplastiks? 

Galloway: Es sammelt sich in der Umwelt an, im Wasser und Boden, gelangt in Pflanzen und Tiere, zum Beispiel weil es von ihnen gefressen wird.

Wer ein Haustier hat weiß, sie fressen kein Plastik. Warum tun Meerestiere das?

Galloway: Etwa weil das Plastik für sie nicht erkennbar ist, anders als ein Plastiksplitter in Ihrer Wohnung für Ihre Katze, den sie in Ruhe untersuchen kann. Gewisse Seevögelarten etwa halten Plastikstückchen an der Wasseroberfläche aus der Höhe für Beute und stürzen sich einfach darauf. Zudem werden die Teilchen mit der Zeit von Mikroben, Algen und anderem besiedelt, sind verklebt und verklumpt mit organischen Materialen, vielleicht mit Nahrungsstücken und werden so auch von umsichtigeren Tieren unbeabsichtigt geschluckt. Und im Falle von Mikroplastik sind die Partikel so klein, daß die Tiere sie gar nicht wahrnehmen können und sie zum Beispiel mit dem Wasser in ihren Körper spülen.

Was bewirkt Mikroplastik in den Tieren? 

Galloway: Es verletzt oder verstopft etwa ihre Eingeweide, was zu schlimmen Leiden und zum Tod führen kann. Es kann aber auch von krankheitserregenden Stoffen oder Kulturen  bedeckt sein, die so in den Körper der Tiere gelangen. Und schließlich enthalten Kunststoffe auch Chemikalien, wie etwa Weichmacher oder hormonell hochwirksame Stoffe wie zum Beispiel Bisphenol A, die sich im Körper der Tiere aus dem Plastik lösen und ihn schädigen. Zudem vergrößerter sich die Oberfläche erheblich, wenn man etwas zerkleinert. Und je mehr Oberfläche etwas hat, desto mehr Giftstoffe können sich anlagern oder auch leichter austreten. Es gibt also verschiedene Möglichkeiten, an Mikroplastik zugrunde zu gehen.     

Woher kommt das Mikroplastik?

Galloway: Es gibt zwei Quellen: Zum einen ist es als Mikropartikel etwa in Kosmetika, Körperpflege-, Reinigungs- oder Waschmitteln enthalten, um deren Wirkung zu optimieren. 

Warum ist das überhaupt erlaubt?

Galloway: Weil diese Produkte ja nicht zum Verzehr da sind, weshalb man höchsten nach ihrer äußeren Wirkung auf unsere Haut fragt, sich aber über die Aufnahme in den Körper lange keine Gedanken gemacht hat. Aber ich war ja noch gar nicht fertig: Mikroplastik kommt zum Beispiel auch aus Kunstfaserkleidung, die bei jedem Durchgang in Ihrer Waschmaschine Fasern verliert, die ins Abwasser gelangen. Das passiert auch mit Ihrer Baumwollwäsche – aber deren Fasern sind ja abbaubar. Neben den industriellen Mikroplastikpartikeln ist die zweite Quelle für Mikroplastik das Makroplastik – also alle Gegenstände aus Plastik, die wir achtlos in die Landschaft oder in Gewässer werfen, statt sie in den Müll zu geben. Im Laufe der Zeit zerbrechen sie in immer kleinere Teile, bis schließlich kleinste Stückchen entstehen. Tatsächlich gehen wir davon aus, daß der größere Teil des Mikroplastiks nicht aus Produkten mit Mikroplastik stammt, sondern aus Makroplastik entsteht.  

Mittlerweile treiben gigantische Makroplastikteppiche in unseren Ozeanen. Was kann man dagegen tun?

Galloway: Die meisten Leute denken, das Wichtigste sei, diesen Müll aus dem Meer zu holen. Aber das ist der falsche Ansatz – beziehungsweise, das ist nicht der Schlüssel zur Lösung des Problems. Der ist vielmehr, die Verschmutzung  mit Plastik zu unterbinden! Sonst führt Aufräumen nämlich zu nichts. Das war auch die Lösung in Sachen Öl- und Schwermetallverschmutzung. Zum Beispiel war es uns damals gelungen, diesen Stoffen „Fingerabdrücke“ zuzuordnen, so daß wir schließlich bestimmen konnten, woher die Gifte stammten, und in der Lage waren, die Verursacher zu benennen. 

In Sachen Plastik sind die Verursacher bekannt. Der meiste Plastikmüll stammt aus fünf großen Flüssen in Asien und Afrika.

Galloway: Stimmt, bedeutet aber nicht, daß wir weniger Schuld daran sind.

Warum?

Galloway: Weil diese erhöhten Mengen aus Asien und Afrika die höhere Bevölkerungsdichte dort widerspiegeln.

Selbst wenn wir pro Kopf ebensoviel beitragen – wenn Europa absolut nur einen kleinen Teil einleitet, sind doch nicht wir es, die die Krise maßgeblich verursachen.

Galloway: Es ist nicht nur unsere geringere Bevölkerungszahl, es ist auch unsere bessere Infrastruktur, die effektiver Müll vermeidet und entsorgt.

Aber dann ist es noch unverständlicher, warum wir gleich schuld sein sollen. 

Galloway: Wir alle tragen nun mal die gleiche Verantwortung für die Erde. 

Es geht nicht darum, Verantwortung abzuwehren. Aber warum müssen wir deshalb gleichermaßen Schuld an etwas bekennen, die wir in diesem Maße gar nicht haben?   

Galloway: Sie verstehen nicht, unsere Meere kennen keine Grenzen. Was auch immer wir ihnen irgendwo auf der Welt antun, schlägt auf uns alle zurück.   

Frau Professor Galloway, kann das Problem nicht nur gelöst, sondern wird es auch gelöst werden? 

Galloway: Da bin ich zuversichtlich. Denn im Vergleich zu früheren Umweltproblemen ist die Aufmerksamkeit für die Plastikverschmutzung sehr schnell sehr groß geworden. Wir werden geradezu bestürmt mit dem Thema, und man liest sogar davon, daß schon islamische Terrormilizen Plastiktüten verboten haben sollen. Und das ist die gute Nachricht: Unsere Regierungen, etwa die Großbritanniens, aber auch die EU, haben definitiv ein offenes Ohr dafür, daß so viele ihrer Bürger eine Lösung der Plastikkatastrophe in unseren Weltmeeren wünschen. Aber wir müssen jetzt handeln! 






Prof. Dr. Tamara Galloway, geboren 1963 nahe Glasgow, ist Ökotoxikologin an der Universität von Exeter. Sie ist Fachberaterin der UK Environment Agency, der Royal Commission on Environmental Pollution sowie der Arbeitsgruppe für Nanopartikel der OECD. 

Foto: Vom Meer an Land gespülte Plastikabfälle (China, 2018): „Die meisten Leute denken, das Wichtigste sei, den Müll aus dem Meer zu holen – doch das ist der falsche Ansatz“

 

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