© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 16/19 / 12. April 2019

Zeitschriftenkritik: Westpreußen-Jahrbuch
Missionare, Aeronauten, Kirchenkämpfer
Oliver Busch

Da das Westpreußen-Jahrbuch zuletzt 2016 seine Abonnenten erfreute, machte 2017 und 2018, als es ausblieb, das Gerücht die Runde, das seit 1950 erscheinende kulturhistorische Periodikum der Landsmannschaft Westpreußen sei an Altersschwäche eingegangen. Doch Totgesagte leben bekanntlich länger. Eine Volksweisheit, die der jetzt ausgelieferte Doppelband 2017/18 bestätigt, der jedoch leider nicht, wie das Geleitwort verheißt, „etwas umfangreicher“ ist.

Dafür hebt er sich dadurch erfreulich von den herkömmlichen Jahresbänden ab, daß er weniger Beiträgern mehr Platz für gründlichere Abhandlungen gönnt. So erfolgt diesmal mit acht umfangreichen Aufsätzen eine deutlichere Schwerpunktbildung. Unter ihnen fällt die familienhistorische Spurensuche des aus Elbing stammenden Schiffsingenieurs Hans-Jürgen Klein sogar noch aus dem großzügigen Rahmen, denn seine Rekonstruktion des abenteuerlichen Lebenswegs eines Vorfahren, des Elbinger Schuhmachersohns  Jacob Klein (1721–1790), der als Missionar in Tranquebar, im Südosten des indischen Subkontinents wirkte, beansprucht allein ein Viertel des Bandes. Ebenso exotisch, wenn auch nicht so weit  in die Ferne schweifend, nimmt sich die Studie von Marc Banditt aus, die sich mit ersten Ausflügen ins „Luftmeer“ an der Mottlau befaßt, die Ende des 18. Jahrhunderts nach Mongolfièrs Vorbild mit Heißluftballons in Danzig starteten.

Näher an die Gegenwart rücken dann schon Arbeiten Hans-Jürgen Schuchs über die Herrschaft Cadinen, ein Gut nahe Elbing, das 1898 in den Besitz Kaiser Wilhelms II. überging und das zur Musterwirtschaft gedieh, und Heiko Suhrs, der sich der Biographie des westpreußischen Verwaltungsbeamten Gustav Bansi widmet, der als Regierungspräsident in Aurich im September 1933 Opfer politischer „Säuberungen“ wurde.

Ein Glanzstück zeithistorischer Regionalforschung liefert Rainer Zacharias aus seiner Heimatstadt Marienburg, wo er den Kirchenkampf zwischen 1933 und 1945 verfolgt. Haften bleibt vor allem das jeder bewältigungspolitischen Schwarzweißmalerei hohnsprechende Porträt Ulrich Sporleders (1911–1944). Als Schüler Rudolf Bultmanns nahm der zur Bekennenden Kirche gehörende Vikar die christliche Botschaft existentiell ernst. Sein protestantischer Fundamentalismus schloß daher ein Arrangement zwischen Bibel und Hakenkreuz aus. Die Opposition zur NS-Herrschaft, die ihn ins Umfeld des militärischen Widerstands führte und die ihn nach dem 20. Juli 1944 den Freitod wählen ließ, hinderte den mehrfach verwundeten, auch in Stalingrad eingesetzten Offizier aber nicht, sich als Frontsoldat zu bewähren. 

Den Band beschließen eine ausgewogene polnische Darstellung über die Vertreibung der Deutschen aus Danzig (1945/46) und ein mit sensationellen zeitgenössischen Farbfotos illustrierter Aufsatz zur deutsch-polnischen Gedächtnispolitik im Kreis Obernik/Warthe. 

Kontakt: Westpreußen-Jahrbuch 67/68 (2017/18), Westpreußen-Verlag, Münster 2019, 208 Seiten, zahlreiche Abbildungen, 17,50 Euro

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