© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 16/19 / 12. April 2019

Reden und repräsentieren
„... kein Porträt und schon gar keine Biographie“: Andreas Goldstein blickt in dem Dokumentarfilm „Der Funktionär“ auf seinen Vater Klaus Gysi
Sebastian Hennig

Der Dokumentarfilm „Der Funktionär“ enthält Andreas Goldsteins persönliche Erzählung über seinen Vater Klaus Gysi. Es wird der Persönlichkeit keine feste Kontur gegeben. Doch darin liegt gerade der Reiz. „Es ist eben kein Porträt und schon gar keine Biographie“, meint Goldstein. Eine Abrechnung ist es auch nicht, eher eine stille Betrachtung aus gebührendem Abstand. In seiner sozialistischen Sehnsucht weiß der Regisseur sich den Eltern verbunden. „Ich kann nicht von meinem Vater sprechen, ohne von mir zu reden, von meiner eigenen historischen Erfahrung, deren Teil er ist.“

Klaus Gysi war in der DDR Verlagsleiter, Kulturminister, Botschafter in Italien und zuletzt als Staatssekretär für Kirchenfragen tätig. Der Film zeigt mit ihm ein Leitfossil des verblichenen Staates, der auch dem Sohn etwas bedeutete. Er beschreibt dessen letzte Phase: „Die Abwesenheit jeder Politik, jeder Perspektive, schlug aufs Gemüt.“ Eine windstille Zeit.

Diese Atmosphäre bringen Goldsteins Schwarzweiß-Fotografien zurück, die mit den Archivaufnahmen seines redenden und gestikulierenden Vaters wechseln. Dieser spricht 1990 gegenüber Günter Gaus von einer Verbindung von Geist und Macht und gebraucht rückblickend den Begriff der Diktatur. Den Sohn befremdet es, wie der Vater die Perspektive der Gegner einnimmt, „als hätte er nicht dazugehört“. Immer stärker regt sich die Frage, ob dieser Mann, der sein Leben mit Reden verbrachte und sich in rhetorischen Schleifen verlor, wohl tatsächlich immer nur mitgemacht hat, ohne eigentlich dazuzugehören. Er erfüllte eine Alibifunktion und verstand es, die zunehmende Ratlosigkeit mit klugen Sätzen zu überbrücken. Sein bürgerlicher Habitus machte ihn für die erklärte Partei der Arbeiterklasse im Kulturkampf ähnlich wertvoll wie den ersten seiner Amtsvorgänger, den Dichter Johannes R. Becher.

Klaus Gysi erlebte 1927 als Jugendlicher die Urszene seines Lebens vom Fenster der elterlichen Wohnung aus. Nach einem bewaffneten Polizeieinsatz gegen eine Arbeiterdemonstration blieb ein Erschossener auf dem Pflaster liegen. Der Jüngling trat in die kommunistische Jugendorganisation ein und wurde später Mitglied der KPD.

Vor dem Spiegel als Herr Minister angeredet

Als er 1935 wegen seiner jüdischen Herkunft sein Studium in Berlin nicht fortsetzen durfte, ging er nach Paris, von wo ihn die Partei 1940 nach Deutschland zurückbeordert. Offenbar löst er die in ihn gesetzten Erwartungen nicht ein. Unbehelligt bis zum Kriegsende im Land gelebt zu haben erweckt zusätzlichen Verdacht. Als er später nachfragt, warum jahrelang ermittelt wird, erhält er den freundlich gemeinten Hinweis, er solle doch lieber froh sein, daß man sich Zeit nehme. Mit jedem Stellungswechsel legt er sich eine neue Lebensgefährtin zu und zeugt mit drei Frauen sieben Kinder.

Einen Plan zur Kulturpolitik vermag er Ulbricht auch nach sechs Jahren nicht vorzulegen. Er schwadroniert und repräsentiert. Es ist die Rede davon, wie er sich daheim vor dem Spiegel selbst mit Herr Minister anredet und seine Chauffeure von der Ostsee Meerwasser für das Seefischaquarium seiner Kinder bringen läßt. Mit dem Machtwechsel zu Honecker wird er als Botschafter nach Italien entsandt, wo die DDR mit ihm bella figura machen will. Damit endet auch die Beziehung der Eltern. Den Abschiedsbrief des Vaters an den Neunjährigen hat die Mutter vernichtet. Jahrzehnte später gesteht der unerreichte Adressat: „Die Sehnsucht nach dem Vater und das Hoffen auf den Kommunismus fielen in meiner kindlichen Wahrnehmung zusammen.“ 

Die Mutter setzt später ihrem Leben mit Schlaftabletten ein Ende. Auf kariertem Papier hat sie in fahrigen Zügen spezifische Alpträume protokolliert, wie sie als Parteisekretärin abgewählt wird, daraufhin abseits steht und keiner mit ihr redet. Dieser kommunistische Puritanismus wirkt fürchterlich. Doch gegen Opportunisten, die sich den Gelegenheiten auch ohne Zwang ergeben, wirkt die stupide Prinzipienfestigkeit dann beinahe schon ehrwürdig. Der Regisseur reitet darauf nicht herum. Im Film sind die Inhaltsstoffe so fein gegeneinander ausgewogen, wie es nur die Intuition möglich werden läßt.

Goldstein übernimmt die rhetorische Selbstdeutung des Vaters, ohne dabei die Fehlstellen des Lebenslaufs zu bedecken. „Die Not, diese Geschichten zu erzählen, erwächst nicht aus der Vergangenheit, sondern aus der Gegenwart. Heute werden die Konflikte der DDR dramatisiert und durchweg auf den Gegensatz von Freiheitswillen und Repression reduziert. Sie bilden dabei weniger die DDR ab als vielmehr eine Gegenwart, die sich selbst legitimieren muß und nun in diesen Erzählungen als Erlösung erscheinen kann.“

Man kann nun von den Protagonisten, einschließlich des Autors, halten, was man will, von ihrem Charakter, den Beweggründen ihres Handelns und Nichthandelns. In jedem Falle ist der Film eine beispielhafte Äußerung von Pietät. 

Kinostart am 11. April 2019

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