© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 16/19 / 12. April 2019

Expressionisten unter Verdacht
Bilderkunst im Kanzleramt: Um die beiden Maler Emil Nolde und Karl Schmidt-Rottluff ist eine Debatte entbrannt
Martina Meckelein

Bildersturm im Kanzleramt, dem Zentrum bundesdeutscher Regierungsmacht: In den Büroräumen von Angela Merkel hingen bis vor kurzem zwei Bilder des während der NS-Zeit als „entartet“ diffamierten expressionistischen Malers Emil Nolde (1867–1956). Nun sind sie weg.

Warum das Bundeskanzleramt die beiden Gemälde „Brecher“ von 1936 und „Blumengarten (Thersens Haus)“ von 1915 an die Stiftung Preußischer Kulturbesitz (SPK) zurückgegegeben hat, ist unklar. Vermutet wird, dies hänge mit einer Kunstausstellung unter dem Titel „Emil Nolde – Eine deutsche Legende. Der Künstler im Nationalsozialismus“ zusammen, die an diesem Freitag in Berlin eröffnet. In einer Mitteilung verspricht die Stiftung, daß dabei so viel Neues zu Tage gebracht werde, „daß die bisherige Nolde-Erzählung revidiert werden muß“. 

Antisemitische Passagen in Briefwechseln

Das klingt nach Ungemach. Schon das Frankfurter Städel-Museum hatte 2014 Noldes Antisemitismus und die Parteizugehörigkeit zur NSDAP in einer Retrospektive thematisiert. Es war die Frankfurter Allgemeine, die daraufhin nicht nur einen Nolde-Verriß veröffentlichte, sondern gleich noch Siegfried Lenz mit in die Verantwortung nahm. Hatte er doch in seiner „Deutschstunde“ dem Künstler ein Denkmal gesetzt. Anders die Zeit: „Daß seine Malkunst mit den Nazis nichts zu tun hat und originäre Größe besitzt, ist unstrittig“, schrieb Ulrich Greiner. Nun, zurückkehren ins Kanzleramt sollen seine beiden Bilder nach dem Ende der jetzigen Berliner Ausstellung trotzdem nicht.

Doch schien schnell ein Lückenbüßer gefunden worden zu sein. Die Stiftung habe der Kanzlerin zwei Landschaftsbilder von Karl Schmidt-Rottluff (1884–1976) als Ersatz angeboten: „Haus unter Bäumen“ von 1910 und „Häuser am Kanal“ von 1912.

Doch auch diesen Expressionisten umgibt ein Hautgout. Die Deutsche Presse-Agentur vermeldet, daß die Berliner Professorin und Kunsthistorikerin Aya Soika – sie hatte schon bei der Städel-Ausstellung mitgearbeitet – antisemitische Passagen in Briefwechseln des Künstlers entdeckt habe. England, als Feind im Ersten Weltkrieg, beschrieb er als ein „Volk, das vollkommen durch die Juden verseucht ist“. Über Berlin schrieb er: „Diese Juden hier tragen die große Überzeugung schon öffentlich mit sich herum, daß sie nach dem Kriege auch politisch herrschen. Doch ich denke, der deutsche Gott wird uns davor bewahren und es ihnen gründlich in die Bude schneien lassen.“

Endgültige Entscheidung ist noch nicht gefallen

Für Schmidt-Rottluff spreche allerdings, so Soika, daß er nach Hitlers Machtergreifung sich nicht mehr derartig geäußert habe. Doch zum Aufatmen gibt es keinen Grund. Die Forscherin gibt laut Agenturmeldung zu bedenken: „Antisemitismus ist kein statischer Zustand. Man muß aber vorsichtig sein, weil immer neue Dokumente auftauchen können.“

Unterdessen hieß es von seiten der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, daß „noch keine definitive Entscheidung“ gefallen sei, welche Kunstwerke im Amtszimmer der Kanzlerin künftig hängen werden. Um diesem peinlichen Auf- und Abhängen von Bildern ein für allemal zuvorzukommen, sollte die SPK in Erwägung ziehen, Kontakt zu einem deutschen Zoo aufzunehmen. Irgendwo wird es doch einen begabten Schimpansen geben, der ein paar farbenfrohe Linien aufs Papier bringen kann. Die Älteren unter uns erinnern sich vielleicht noch an den pfiffigen „Congo“. Der Affe kleckste im Londoner Zoo in den 1960ern munter Leinwände voll und wurde eine Berühmtheit.