© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 16/19 / 12. April 2019

Kleiner Hund, großer Mut
Trotz Diffamierungsversuchen ist der Dackel gerade in Großstädten wieder Kult
Gil Barkei

Immer noch gilt er vielen als Inbegriff von Deutschtümelei, Stammtisch und Spießigkeit. Er wackelte neben gehäkelten Klorollen auf den Hutablagen sonntags blitzeblank geputzter Autos oder saß bei Trachten- und Vereinsuniformträgern auf dem Schoß. Quasi der Fliesentisch auf vier Pfoten: der Dackel. 

Nachdem es „Waldi“ 1972 – als der original bayerische Grantler im Brauhaus noch fest seinen „Wadelbeißer“ im Arm hielt – sogar zum Maskottchen der Olympischen Spiele in München gebracht hatte, wurde es zunächst ruhig um die mit Stereotypen überladenen Vierbeiner. Von der TV-Figur Hausmeister Krause vielleicht abgesehen. Bei der Fußballweltmeisterschaft 2006 in Deutschland durfte die japanische Nationalmannschaft nicht mal mit ihrem Glücksbringer-Dackel „Erwin Rommel“ beim Spiel gegen Australien auflaufen –  und verlor prompt. Doch seit einigen Jahren erfährt der flinke Teckel gerade in Großstädten eine derart rasante Rehabilitierung, daß er in einigen Bezirken bereits als Hipsterhund verschrien ist. In Berlin-Neukölln kommen Liebhaber in der Bar „Posh Teckel“ zusammen. Anläßlich der noch bis zum 21. Mai laufenden Ausstellung „Vorsicht! Dackel“ im Valentin-Karlstadt-Musäum fand in München Mitte März eine Teckel-Parade statt. Immerhin leben etwa 600 Kurzbeiner in der Landeshauptstadt. Einige Kilometer weiter östlich, in Passau, wurde vor einem Jahr das erste „Dackelmuseum“ Deutschlands eröffnet. 

Aber auch im Ausland ist der aufgrund seines langgezogenen Körperbaus für Rückenprobleme anfällige Gefährte mittlerweile Kult. In London treffen sich regelmäßig Hunderte Fans der schon im Mittelalter bekannten deutschen Traditionsrasse zum „Sausage Walk“, um ihre Lieblinge mit dem berühmten treuseligen Blick in den neuesten Kostümen zu präsentieren. 

In den USA oft „Wiener Dog“ genannt und 2015 im gleichnamigen Film in die Sphäre des Autorenkinos erhoben, sind einige Exemplare richtige Stars eines eigenen Universums aus Dackel-Backformen, -Lampen, -Schmuck und Social-Media-Profilen. So wie „Crusoe The Dachshund“ mit gut 700.000 Instagram-Followern, der Reisereportagen und Fotobände veröffentlicht beziehungsweise von seinen Besitzern veröffentlichen läßt. 

Den Weg geebnet für seine Rückkehr und Aufnahme in die „hippen“ Kreise haben unter anderem Heidi Klum mit ihrem „Victor“ und Oasis-Sänger Liam Gallagher mit seiner „Ruby“. Dabei war der kurz-, rauh- oder langhaarige Dachshund (so heißt auch das Mitgliedermagazin des 1888 gegründeten Deutschen Teckelklubs) seit jeher Begleiter von Künstlern und Popikonen. Picassos hieß „Lump“, Andy Warhols „Archie“ und „Amos“, und Winnetou-Darsteller Pierre Brice nannte seinen „Undine“. Maler David Hockney verewigte „Stanley“ und „Boogie“ gleich mehrere Male auf der Leinwand, und der junge Marlon Brando posierte mit „Kurtze Beiner“ seiner Großmutter für Fotos. P. G. Wodehouse und sein „Bertie“ sollen eine derart innige Bindung gehabt haben, daß der Dackel nur wenige Tage nach dem Tod des Schriftstellers ebenfalls verstarb. 

Im Bau ist der Dachshund auf sich gestellt

Europäische Herrscher schworen ebenfalls auf die in schwarz-rot, braun, rot und gefleckt beziehungsweise getigert gezüchtete Rasse, die es in den Größen Kaninchen, Zwerg und Normal gibt. „Erdmann“ hörte auf die Kommandos von Kaiser Wilhelm II., „Nicky“ auf die von Queen Elizabeth, und Dänemarks Königin Margrethe genoß die Gesellschaft von „Evita“ und „Helike“. Napoleon Bonaparte war sogar ein solcher Dackelnarr, daß seine Hunde nach ihrem Tod im Fußbereich seines Sarkophags nachgebettet wurden. Dabei ist der Dachshund, wie man dem Namen schon entnehmen kann, in erster Linie gar kein Schmuse- und Accessoir-Hund, sondern ein Auslauf und Herausforderungen liebender Jäger, der seine krummen Beinchen sowie seine legendäre eigenwillige Sturheit seinem Einsatzort „unter Tage“ verdankt. Im engen Bau, getrennt vom Herrchen, vis-à-vis mit dem Fuchs oder dem noch wehrhafteren Dachs ist der Teckel auf sich gestellt und muß eigene Entscheidungen treffen. Dabei sollte sich weder Mensch noch Tier von der geringen Körpergröße täuschen lassen: Der Dackel ist ein selbstbewußter Kämpfer mit dem Herzen eines Löwen, der auch vor ausgewachsenen Keilern wenig Respekt hat. Viele Teckelführer haben daher bei der Jagd stets ein Fläschchen Desinfektionsmittel und Verbandszeug dabei.

Doch schon die Nationalsozialisten waren auf das „Understatement“ des Dackels hereingefallen und hatten ihn mit seiner vermeintlich falsch proportionierten Gestalt im Vergleich zum imposanten Deutschen Schäferhund verschmäht. Auch deshalb entwickelte sich der Teckel „historisch unvorbelastet“ in den 50er und 60er Jahren zu einem Lieblingshund in der Bundesrepublik. Insofern ist der Dackel überhaupt nicht als Diskreditierungssymbol für mediale „Nazi!“-Kampagnen geeignet, auch wenn viele Deutschlandhasser ihn immer wieder dazu mißbrauchen.