© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 17/19 / 19. April 2019

Der lachende Dritte ist Paris
Kommt der Brexit weich, hart oder gar nicht? Klar ist: Der jetzige Vertrag verlängert das Drama nur
Bruno Bandulet

Einem solchen Club beizutreten ist nicht immer einfach – ihn zu verlassen noch schwerer. Als die EU noch als EWG firmierte, blockierte Charles de Gaulle zweimal die Aufnahme der Briten, weil er in ihnen ein Trojanisches Pferd der USA sah. Auf den Beitritt 1973 folgte spätestens in den neunziger Jahren die Desillusionierung. Die Engländer begriffen, daß sie einer Wirtschaftsgemeinschaft beigetreten waren, die sich zunehmend auch politisch zentralisierte.

1994, als der britisch-französische Milliardär James Goldsmith seine mit dem Bund Freier Bürger liierte Referendum Party gründete, kam die Idee einer Volksabstimmung über den EU-Austritt erstmals auf die Tagesordnung. Goldsmith, der früh verstarb, blieb der Durchbruch versagt, dafür reüssierte die UK Independence Party unter Nigel Farage, bis sie bei den vergangenen Europawahlen 2014 auf der Insel zur stärksten Partei aufrückte.

Falls die Briten doch noch an den Europawahlen Ende Mai teilnehmen, wird Farage mit seiner neuen Partei ein weiteres Mal triumphieren. Er wird vom Ansehensverlust der etablierten Parteien und der weitverbreiteten Frustration profitieren. Und er kann mit dem Verdacht punkten, die Mehrheit im Unterhaus, die vom Ergebnis des Referendums am 23. Juni 2016 überrumpelt wurde, wolle den Brexit in Wirklichkeit hintertreiben.

In den vergangenen drei Jahren lieferten Brüssel und London ein Schauspiel, das zu einer Mischung aus Farce und Tragödie geriet. Die chaotischen Irrungen und Wirrungen nachzuvollziehen überfordert das Publikum beiderseits des Kanals. Dabei ist die Erklärung ganz einfach: Die Regierung May verhandelte schlecht, und die EU war nur zu einem ungleichen Vertrag bereit, der vorhersehbar keine Zustimmung im britischen Unterhaus finden würde. Der Austritt mußte dreimal verschoben werden, nach letztem Stand auf den 31. Oktober 2019. Bis dahin könnte das Unterhaus den Vertrag, über den die EU nicht mehr verhandeln will, nach einem Sinneswandel der Labour Party doch noch billigen. Auch der Brexit ohne Vertrag bleibt eine Option.

Ein Fehler lag darin, daß nur über den Austritt, nicht aber über einen Vertrag verhandelt wurde, der die künftigen Beziehungen zwischen dem Vereinigten Königreich und der EU regelt. Michel Barnier, der französische Unterhändler in Brüssel, trennte beides – und Theresa May ließ sich darauf ein. Ihr Kabinett stimmte schließlich am 14. November 2018 einem 585seitigen Abkommen zu, das vieles offenläßt, weitgehend zu Lasten Londons geht und das aus EU-Sicht dem Zweck dient, die Briten zu bestrafen und potentielle Nachahmer abzuschrecken. „Die harte Verhandlungsführung der EU-Kommission“, urteilte die Bremer Politikprofessorin Susanne K. Schmidt kürzlich in der FAZ, „verleiht aber der Mitgliedschaft nun faktisch einen Zwangscharakter.“ Sie fügte kritisch hinzu, daß der Grad der Vereinheitlichung in der EU in vielen Teilen inzwischen höher sei als in etablierten Bundesstaaten wie Kanada oder den USA.

Der jetzt vorliegende Vertrag sieht vor, daß London eine Austrittsrechnung in Höhe von 40 bis 45 Milliarden Euro zahlt, eine Art Lösegeld; daß sich Großbritannien zumindest während einer Übergangszeit an zahlreiche EU-Regeln halten muß, ohne darüber mitbestimmen zu dürfen; daß zwecks Streitschlichtung ein Schiedsgericht eingesetzt wird, welches einen bindenden Entscheid des berüchtigten EuGH einholen muß, immer wenn EU-Recht betroffen ist; daß die 3,5 Millionen EU-Bürger im Königreich bleiben dürfen und Anspruch auf Sozialleistungen haben; und daß die Sonderregelung für Nordirland nur aufgekündigt werden kann, wenn beide Seiten zustimmen, womit direkt in die Integrität und Souveränität des Königreichs eingegriffen wird.

Ungeregelt bleibt der Zugang zu den britischen Fischgründen, an denen die Niederländer und Dänen interessiert sind sowie die für London besonders wichtige Möglichkeit, Freihandelsverträge mit dem Rest der Welt abschließen zu können. Insgesamt also ein „weicher“ Brexit, der keinen klaren Schnitt bringt und dem Ergebnis der Volksabstimmung nicht gerecht wird. Damit ist die Fortsetzung des Dramas auch nach einem Austritt 2019 programmiert.

Eine (immer noch bestehende) Alternative für die Briten hätte darin bestanden, gleich nach dem Referendum auszutreten, die Rechtssetzungsbefugnis an sich zu ziehen und dann unter Berücksichtigung der Verträge der Welthandelsorganisation über die künftigen Beziehungen zu verhandeln. Weil die EU und insbesondere Deutschland mehr nach Großbritannien exportieren als umgekehrt und dementsprechend mehr zu verlieren haben, hätte London dabei keine schlechten Karten gehabt.

Könnte das schier unendliche Drama damit enden, daß Großbritannien doch noch in der Europäischen Union bleibt? Dagegen spricht, daß die Mehrheit der Briten dezidiert EU-skeptisch geblieben ist und daß selbst die „Remainers“ in der EU lediglich das kleinere Übel sehen. Das europäische Narrativ vom Friedensprojekt Europa und einer „immer engeren Union“ überzeugt nicht auf der Insel. Nicht nur Emmanuel Macron, der in Frankreich die künftige europäische Führungsmacht sieht, will die Engländer nicht mehr dabeihaben. Als im Juni 2016 das überraschende Ergebnis des Referendums bekannt wurde, knallten die Champagnerkorken in den Räumen der EU-Kommission – so der Hofschreiber Robert Menasse, der dabei war. Ein gedemütigtes Britannien, das reuig in die Gemeinschaft zurückkehrt, würde die Atmosphäre nachhaltig vergiften.

Im deutschen Interesse liegt der Brexit gleichwohl nicht. Wenn die Briten nicht mehr nein sagen können, weil sie draußen sind, werden die Franzosen – gestützt auf den südeuropäischen Weichwährungsblock – entscheiden, und die Deutschen werden bezahlen.