© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 17/19 / 19. April 2019

Douglas Murray. Der britische Islam- und Zuwanderungskritiker kommt nach Berlin
Britanniens Kassandra
Ludwig Witzani

Es ist selten, aber möglich: Tatsächlich können Bücher gesellschaftliche Veränderungen bewirken – und sei es zunächst auch nur auf dem Feld unserer Wahrnehmung. Ein Beispiel dafür ist Thilo Sarrazins Bestseller „Deutschland schafft sich ab“ von 2010. In diese Kategorie gehört auch „The Strange Death of Europe. Immigration, Identity, Islam“ (2017) des Briten Douglas Murray, der derzeit Deutschland besucht (und kommende Woche in der Berliner Bibliothek des Konservatismus liest). Niemand, der sein sorgfältig recherchiertes Werk liest, kann sich der Brisanz seiner Thesen entziehen. 

Der gefragte Publizist wurde 1979 in Hammersmith, London, geboren, besuchte das Elitegymnasium Eton und studierte Anglistik in Oxford. Bereits mit zwanzig verfaßte er eine vielbeachtete und gelobte Biographie über Lord Alfred Douglas, einen Weggefährten Oscar Wildes. Zwischen 2002 und 2007, den Jahren, in denen in Holland die Islamkritiker Pim Fortuyn und Theo van Gogh ermordet wurden, schloß er sich der Denk­richtung der Neokonservativen an und übernahm 2011 den Ko-Vorsitz der nach dem US-Politiker Henry Jackson benannten Gesellschaft, einer Denkfabrik in London. Zudem veröffentlichte er in renommierten Blättern wie dem Guardian, dem Spectator oder dem Wall Street Journal und erhielt einen Preis für eine Reportage über die Scharia an britischen Schulen. Murrays wachsende Kritik an der islamischen Einwanderung ist verständlich, macht er aus seiner Homosexualität doch keinen Hehl. Für die er jedoch, im Unterschied zu anderen und wegen seiner politischen Ausrichtung, nie einen gesellschaftlichen „Bonus“ erhielt.

Mit seinem Bestseller, 2018 als „Der Selbstmord Europas. Immigration, Identität, Islam“ auch auf deutsch erschienen (JF 24/18), ist Murray in die erste Riege der europaweit bedeutenden Islam- und Einwanderungskritiker aufgestiegen. Der umfassende Überblick, den sein Buch über die Geschichte der islamischen Landnahme im Westen, samt ihrer Folgen, gibt, offenbart die ganze Verantwortungslosigkeit der etablierten Politik – gleich ob links, liberal oder konservativ –, die zwei Generationen lang eine planlose moslemische Massenimmigration, entgegen dem Willen der Mehrheit des Volkes, teils zugelassen, teils gar gefördert hat. Und so sehe sich heute, so Murrays Fazit, ein verunsichertes Europa mit abstürzenden Geburtenraten einem hochfertilen islamischen Zuwanderungsstrom gegenüber, was in absehbarer Zeit die demographischen Verhältnisse auf dem alten Kontinent umkehren werde. Diese „suizidale“ Situation herausgearbeitet zu haben, ist Murrays analytische Leistung, wie auch der Grund für die zahlreichen Attacken gegen ihn. Daß es dennoch nicht gelungen ist, ihn in seiner Heimat aus dem Diskurs zu drängen, macht, mit Blick auf Sarrazin, klar, wie anders die Lage in puncto Meinungsfreiheit auf der Insel ist.