© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 17/19 / 19. April 2019

Weder Freund noch Helfer
Kriminalität: Betrüger geben sich als Polizisten aus und bringen vor allem ältere Opfer um ihr Erspartes
Ronald Berthold

Wenn die 110 im Telefon-Display erscheint, ist das – niemals die Polizei. Den Notruf nutzen die Beamten nur für eingehende, keinesfalls aber für ausgehende Gespräche. Trotzdem erscheint die Nummer immer häufiger auf deutschen Telefonen. Aus ausländischen, meist türkischen, Callcentern agierende Anrufer fälschen die Ziffernfolge und mißbrauchen die Vertrauenswürdigkeit der Nummer, um ältere Menschen um ihr Erspartes zu betrügen.

Die Verbrecher geben sich als Polizisten aus und erklären den Senioren, Hinweise darauf zu haben, daß ein Einbruch bevorstehe. Zur Sicherheit sollten sie ihre Wertgegenstände und Bargeld an bald erscheinende Beamte übergeben. Die kommen tatsächlich ziemlich schnell – allerdings sind es keine Polizisten, sondern Komplizen des Telefon-Betrügers. Die Zahl dieser Verbrechen steigt drastisch an. In Niedersachsen gab es vergangenes Jahr 4.200 solcher Telefonate, die der Polizei gemeldet wurden. Dort haben sogar die Eltern des Landeskriminalamts-Präsidenten, Friedo de Vries, solch einen Anruf bekommen. In Baden-Württemberg zeigten Opfer von Januar bis September vergangenen Jahres 5.000 Fälle an – eine Verdreifachung im Vergleich zum Vorjahr. In Schleswig-Holstein registrierte das Landeskriminalamt allein in den ersten drei Monaten 2019 rund tausend dieser Betrugsversuche.

Die Dunkelziffer dürfte indes überall weit höher liegen, weil nicht jeder angerufene Rentner danach die Ermittler informiert, sondern die Sache auf sich beruhen läßt, nachdem er sie durchschaut hat. Zwar fallen die meisten Senioren auf die Masche nicht herein. Doch die laut Staatsanwälten rhetorisch äußerst geschickt vorgehenden Betrüger finden trotzdem viele Opfer. In Niedersachsen zum Beispiel schnappte die Falle der falschen Polizisten 2018 rund hundertmal zu. Die Opfer übergaben ihnen Geld oder Schmuck im Wert von 4,7 Millionen Euro. Das heißt: Jeder 42. Betrugsversuch war dort erfolgreich.

Offenbar haben die Betrüger nach dem inzwischen in weiten Teilen der älteren Bevölkerung bekannten „Enkel-Trick“ ihr Vorgehen geändert. Die Zahlen dieser Verbrechen, für die hauptsächlich ein weitverzweigter Roma-Clan verantwortlich gemacht wird, gehen zurück. Nun sind die falschen Polizisten der Renner. Mißtrauisch werden Senioren oft nicht einmal beim ausländischen Akzent der Täter, die sich als Beamte verkleiden oder nur ausgeben. So groß ist der Respekt  von Teilen dieser Generation vor der Polizei.

Opfer haben häufig          ein schlechtes Gewissen

Mancher Fall erscheint schier unglaublich: In Duderstadt brachten die Betrüger eine 86jährige Frau dazu, in drei Tranchen insgesamt eine Million Euro an Altglas-Containern abzulegen. Eine Berliner Rentnerin packte laut dortiger Staatsanwaltschaft ihre gesamten Wertsachen in einen Schuhkarton und warf diesen auf Anweisung des Fake-Polizisten aus dem Fenster. Der Anrufer hatte der Frau erklärt, daß eine Diebesbande auf dem Weg zu ihr sei. Auf der Straße stehe ein Beamter, der die Kiste vor den Gangstern in Sicherheit bringen werde. Die betagte Dame ahnte nicht, daß der Mann unter dem Fenster selbst ein Gangster war. In der Hauptstadt haben in den ersten beiden Monaten dieses Jahres solche Verbrecher fast zwei Millionen Euro erbeutet.

Andere vermeintliche Opfer sind clever, gehen zum Schein auf die Masche ein und alarmieren die echte Polizei. Solche Fälle seien allerdings selten, so ein Berliner Ermittler. Dennoch gibt es erste Erfolge. 22 Betrüger gingen der Hauptstadt-Polizei ins Netz, 16 erhielten einen Haftbefehl. Und das Landeskriminalamt Schleswig-Holstein ermittelt derzeit gegen 20 Tatverdächtige. Die Hintermänner im Ausland kommen jedoch fast immer ungeschoren davon, obwohl der größte Teil der Beute zu ihnen überwiesen wird. Denn die Türkei liefert ihre Staatsangehörigen nicht aus.

Auch in München muß sich aktuell eine Bande vor Gericht verantworten. Das Trio nutzte allerdings nicht das Telefon, sondern spähte seine Opfer nach dem Bankbesuch aus und folgte ihnen nach Hause. Dort gaben sich die mutmaßlichen Täter Walter M., Angelo B., und Andriano K. als Polizisten aus und erklärten, es sei gerade eingebrochen worden. Arglos ließen die Senioren sie ins Haus und prüften in deren Beisein, ob die Wertsachen noch da seien. Durch Ablenkungsmanöver konnten die Diebe dann an einem Tag Beute im Wert von einer halben Million Euro machen. Ein Opfer führte die Täter sogar zum Tresor im Keller, wo Goldbarren für 430.000 Euro lagerten. Die Dummheit der Gauner führte die Polizei auf ihre Spur: Sie filmten sich mit dem Handy dabei, wie sie protzig das gestohlene Geld zählten.

Ein Problem bei den Ermittlungen: die Scham der Geschädigten. Oft zeigen sie den Betrug nicht an und erzählen auch ihren Kindern nicht davon. Zu tief sitzt das schlechte Gewissen, das Erbe Verbrechern ausgehändigt zu haben. Wenn sie sich dann doch offenbaren, fehlt von den Trickbetrügern jede Spur. Andersherum wäre es genau richtig: So schnell wie möglich die Polizei informieren. Nur so könnte sie, sagt ein Ermittler, die Täter – zum Beispiel über eine Funkzellen-Ortung – noch erwischen. Aber auch hier stehen die Chancen schlecht: Meist werfen die Betrüger ihre Prepaid-Handys nach der Tat weg.

Daher bleibt die beste Chance, sich vor diesem Betrug zu schützen, die Vorbeugung. Wer seinen Namen, oder wenigstens den nach einer älteren Person klingenden Vornamen, aus dem Telefonbuch löschen läßt, wird meist gar nicht erst kontaktiert. Außerdem: Echte Beamte melden sich nicht über die 110, sondern über ihre Dienststellennummer. Aber auch wer von dort einen Anruf erhält, sollte über die Zentrale zurückrufen. Und Achtung: Immer, wenn ein Polizist Geld oder Wertsachen in Sicherheit bringen möchte, ist die Sache faul.