© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 17/19 / 19. April 2019

Ex und hopp Schwiiz
Illegale Einwanderung: Ein Asylzentrum der Eidgenossen sorgt beim deutschen Nachbarn für Unmut
Hinrich Rohbohm

Es war im vergangenen Monat gewesen, als der Konstanzer Landrat Frank Hämmerle (CDU) Alarm schlug. Denn die Schweiz hatte im benachbarten Kreuzlingen ein Ausreisezentrum für abgelehnte oder straffällig gewordene Asylbewerber eingerichtet. Es ist eines jener Schweizer Zentren, in denen die Ausreisepflichtigen zusammengelegt werden. Die Lage des Gebäudes ist jedoch heikel. Gerade einmal 300 Meter liegt es von der deutsch-schweizerischen Grenze entfernt. 

Beide Städte, Kreuzlingen in der Schweiz und Konstanz in Deutschland, sind eng miteinander verwachsen, die Grenze unbewacht. Die Befürchtung des Landrats: Ausreiseplichtige Migranten können aufgrund der grenznahen Lage leicht die Gelegenheit nutzen, sich der Abschiebung zu entziehen und sich nach Deutschland abzusetzen. Auch ein internes Schreiben der Bundespolizei an ihre Grenzschutzbeamten warnt: Angesichts des neuen Abschiebezentrums würden voraussichtlich bedeutend mehr abgewiesene Asylsuchende in Deutschland untertauchen als bisher.

„Bleibt nicht aus, daß sich auch einige davonmachen“

Hämmerle forderte Grenzkontrollen. Doch deutsche Kontrolleure sucht man hier vergeblich. Jedoch stehen am Grenzübergang mehrere Uniformierte der Schweiz. Wir machen die Probe, gehen zu Fuß aus Deutschland und der EU heraus, hinein in die Schweiz. Keine Paßkontrolle, keine Ansprache. Auch nicht bei anderen Passanten. Die Beamten der Eidgenossenschaft führen lediglich Stichprobenkontrollen durch. Hinter der Scheibe der Kontrollstation befindet sich ein Schild. 500 Schleuser jährlich greife die Schweiz an der Grenze auf, steht da. Personal ist keines zugegen. Die Schalterfenster, an denen man einst seinen Reisepaß oder Personalausweis vorzeigen mußte, sind verschlossen. In unmittelbarer Nachbarschaft zum Grenzübergang: Döner-Läden, ein Orient-Basar, Glücksspielgeschäfte und ein Nachtclub. Über illegale Einreisen möchte in diesen Etablissements niemand reden, niemand habe irgend etwas gesehen. Dabei hatte die Polizei allein im vorigen Jahr mehr als 4.000 illegale Migranten in dieser Grenzregion aufgegriffen. 

Wenige hundert Meter weiter befindet sich das neue Abschiebezentrum der Schweizer, das sogenannte Bundesasylzentrum ohne Verfahren (BAZoV). Hohe weiße Mauern schirmen es vor unerwünschten Blicken ab. Rund um das Gebäude stehen Masten, an denen mehrere Videokameras hängen. Zwei Uniformierte patrouillieren am Gebäude. „Ganz so dramatisch würde ich das nicht sehen“, wiegelt ein Mitarbeiter des Zentrums gegenüber der JUNGEN FREIHEIT ab. 

Gut 300 Migranten seien in dem Gebäude untergebracht. „Aber zuvor waren hier ja schon fast ebenso viele Asylanten. Der Unterschied ist nur, daß es da noch eine Erstaufnahmeeinrichtung war.“ Ohnehin befänden sich nur wenige Ausreisezentren in der Grenzregion, sie seien eher Ausnahme als die Regel. Und die Zahlen der unerlaubten Einreisen von der Schweiz nach Deutschland seien zudem doch zurückgegangen. 

Andererseits sei es natürlich zutreffend, daß zahlreiche Ausreisepflichtige den Versuch unternehmen, unterzutauchen. „Die Migranten können sich tagsüber frei in der Stadt bewegen, da bleibt es natürlich nicht aus, daß sich auch einige davonmachen.“ Wie viele das genau sind, darüber kann oder will der Mitarbeiter keine Auskunft geben. Erst nach mehrfacher Nachfrage wird klar: Vergleiche mit ähnlichen Zentren lassen eine Anzahl von „weit mehr als die Hälfte“ vermuten, die sich der Abschiebung entziehen – durch Ausreise nach Deutschland. Im grenznahen Kreuzlingen dürften es zukünftig wohl noch deutlich mehr werden. Entsprechend angesäuert reagiert so mancher Konstanzer Anwohner nahe der Grenze. 

„Da kann mir keiner etwas erzählen. Wenn man ein Ausreisezentrum so nah an Deutschland errichtet steckt Absicht dahinter“, meint einer. „Die Abschiebungen erfolgen doch meistens mit dem Flugzeug. Warum errichtet man denn dann nicht dort solche Zentren?“, fragt ein anderer und läßt die Antwort darauf gleich folgen: Weil eine Flucht nach Deutschland den Schweizern Geld spart. „Dann müssen wir in Deutschland die Kosten tragen.“ 

Sorge um eine unkontrollierte Zunahme von Asylbewerbern müßten die Bürger in Konstanz dagegen nicht haben, sagen deutsche Zollbeamte. „Die verlassen die Grenzregion zügig weiter ins Landesinnere.“ Auf das gesamte Bundesgebiet betrachtet sei das aber natürlich in der Tat „ein Problem“, wenngleich auch hier der Hinweis kommt, daß die Zahl der unerlaubten Einreisen ja zurückgehe. Der Haken an der Sache: Die Statistiken weisen nur bekanntgewordene Fälle auf: Personen, die aufgegriffen wurden. Die Dunkelziffer dürfte jedoch deutlich höher liegen. 

„Die kommen immer vereinzelt mit Kleinbussen über die Grenze“, will eine weitere Anwohnerin beobachtet haben. Nur wenige hundert Meter weiter, in der Nähe des Nachtclubs, würden sie dann herausgelassen und von anderen Fahrzeugen abgeholt. „Meistens tragen sie Rucksäcke, da weiß man schon, was los ist“, meint die Frau. 

„Weltoffenheit oder      Fremdenfeindlichkeit“

Das wollen wir genauer wissen, warten dort. Lange Zeit tut sich nichts. Dann hält tatsächlich ein Kleinbus, von der Grenze kommend. Die Schiebetür öffnet sich, ein dunkelhäutiger Mann steigt aus. Schwarzes Cap, dunkelgraue Strickjacke. Auf dem Rücken ein Rucksack, in der linken Hand ein Mobiltelefon. Er bleibt stehen, blickt sich um. Ist es wirklich ein illegaler Migrant, der sich gerade absetzen möchte? Etwas ziellos irrt der Mann umher. Er geht in den Nachtclub, kommt nach wenigen Minuten wieder heraus. Dann steuert er ein Wettbüro an, verläßt auch das wieder nach nur kurzer Zeit. Immer wieder blickt er sich mißtrauisch um. Und sucht dann ein Nagelstudio auf. Nachtclub, Wettbüro, Nagelstudio? Irgendwie paßt das nicht zusammen. Im Nagelstudio bleibt er länger. Als er wieder herauskommt, gehen wir hinein, fragen nach. Maniküre oder Pediküre hat er nicht erhalten. „Der hat sich nur umgesehen und ständig aus dem Fenster geblickt“, war einer Mitarbeiterin aufgefallen. Hat der Mann Verdacht geschöpft? 

Dann steht er einfach nur an der Straße neben einem Baum und wartet. Schließlich hält ein weiterer Kleinbus. Der Mann öffnet die Schiebetür, steigt ein. Der Wagen fährt ab. Nicht zur Grenze, sondern weiter hinein nach Deutschland. Flucht oder purer Zufall? An dem Baum hängt ein Plakat. „Was ist deutsch? Weltoffenheit oder Fremdenfeindlichkeit? Streifzüge durch das Herz unserer Kultur“ steht da als Ankündigung für eine Veranstaltung. Nach der Abfahrt des Mannes mit dem Rucksack klingt das ein wenig höhnisch.