© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 17/19 / 19. April 2019

Roter Drache über den Anden
Südamerika: Der Einfluß Chinas steigt massiv / Kritik von Brasiliens Präsident Jair Bolsonaro
Jörg Sobolewski

Argentinien verfügt seit 2016  wieder über einen ernstzunehmenden Personenfernverkehr auf Schienen. Die aktuelle Regierung und auch die ehemaligen Kabinette Kirchner investierten massiv in den Wiederaufbau des Schienennetzes, und tatsächlich: 2019 sind viele Bevölkerungszentren des Riesenlandes wieder mit dem Zug erreichbar. 

Wer einen der Fernverkehrszüge betritt, stellt schnell fest, daß diese durchaus mit ihren europäischen Gegenstücken mithalten können. Denn es handelt sich tatsächlich um „Gegenstücke“, hergestellt wurden die allermeisten der Züge in der Volksrepublik China. Die dortigen Semi-Staatskonzerne versuchen seit Jahren mit massiven Kampfpreisen den großen, etablierten Herstellern Konkurrenz zu machen. 

Allein im Amazonasbecken 400 Dämme in Planung

Fragt man bei den lokalen Betreibergesellschaften an, wird die Kaufentscheidung offen und transparent mit dem niedrigen Preis begründet. Für so wenig Geld gäbe es in Europa nicht einmal einen halben Zug, und tatsächlich berichten Brancheninsider seit Jahren von chinesischen Produkten, die einen Bruchteil der vergleichbaren europäischen Züge kosten würden, was unter anderem den Flix-Konzern zum Einstieg in den Schienenverkehr in Europa bewegt hat. 

Das Preis-Argument ist in Argentinien jedoch nur die eine Seite. In Wahrheit investiert China seit einigen Jahren massiv in Südamerika. Während die Volksrepublik vorher in erster Linie Partner blockfreier oder sozialistischer Länder war, mehr aus Not als aus Wille, tritt China nun auch in den Staaten Südamerikas als Partner auf, die sich traditionell in Richtung des Westens orientieren. 

Man sieht sie an den allermeisten Flughäfen zwischen Bogota und Ushuaia, schweigsame Herren in dunklen Anzügen und gelber Hautfarbe. Meist in Begleitung eines Übersetzers auf dem Weg zum Flugsteig. 

Fragt man nach dem Woher oder Wohin gibt es selten eine Antwort. Es mangelt an Sprachkenntnissen oder an Kontaktwille und man könnte sie ignorieren, wäre ihr Handeln nicht unübersehbar: Minen, Haciendas, Häfen – der chinesische Hunger nach Anteilen oder ganzen Übernahmen scheint unersättlich. In den vergangenen zehn Jahren ist das chinesische Investitionsvolumen durch die Decke gegangen, und es wird nicht nur investiert, es wird auch geliehen. Vorzugsweise für gigantische Infrastrukturprojekte wie etwa Dämme, Straßen oder Eisenbahnlinien in unzugänglichem Territorium. 

Allein im Amazonasbecken sind 400 Dämme in Planung oder bereits gebaut, die ganz überwiegende Mehrheit von chinesischen Staatskonzernen. Die ökologischen Folgen beiseite gelassen, kostet das alles enorm viel Geld. China gibt gern Darlehen ohne lästige Fragen nach der wirtschaftlichen oder politischen Lage zu stellen. 

Seit 2005 sind 150 Milliarden US-Dollar in Form von staatlichen Krediten an südamerikanische Staaten geflossen, einige Staaten verschuldeten sich gleich mehrfach. Ecuador bekam erst mehrere Darlehen für Infrastrukturprojekte, konnte dann die Zinsen nicht bedienen und verschuldete sich in Folge erneut bei demselben Geldgeber – Kritiker sprechen mittlerweile von einer regelrechten Schuldknechtschaft des kleinen Landes.

Doch nicht nur in den ganz großen Lobbies wird in zunehmendem Maße Mandarin gesprochen, auch jeder mittelgroße Ort auf dem ganzen Kontinent verfügt mittlerweile über mindestens einen chinesischen Gemischtwarenladen und ein Restaurant. 

Wo China nicht investieren kann, exportiert es sich selbst. In einem Kontinent der traditionell über viele „Chinatowns“ verfügt, blieb das lange unbeachtet. Verteilt über die lateinamerikanischen Staaten leben heute etwa 800.000 chinesische Staatsbürger, mehr als etwa in Ozeanien, Afrika und Europa zusammen – und sie sind fleißig, obwohl offizielle Zahlen fehlen, stechen sie besonders in den Sonderwirtschaftszonen ins Auge.

Pekings Interessen nicht nur rein wirtschaftlich

Soviel Präsenz bleibt nicht unwidersprochen, die Wahl des brasilianischen Präsidenten Jair Bolsonaro wurde auch begleitet von einem chinakritischen Wahlkampf. Der neue starke Mann der größten und mächtigsten Volkswirtschaft auf dem Kontinent steht fest an der Seite der USA in der Auseinandersetzung mit China und beklagt nicht nur ungerechte Zölle, sondern auch die Einflußnahme Pekings in Südamerika. 

Dennoch ist China der wichtigste Handelspartner für die Regierung in Rio, und zwischen 2012 und 2016 investierten chinesische Firmen in Brasilien das Doppelte des Volumens US-amerikanischer Firmen. Der zweitgrößte Hafen des Landes, der Paranaguá Container Terminal, befindet sich seit 2018 in der Hand der China Merchants Port Holding. 

Die Abgrenzung zwischen privatem Investment interessierter Firmen und Langzeitinteressen der chinesischen Staatsmacht ist hierbei kaum möglich. Privates und staatliches Engagement sind eng verwoben und gehen Hand in Hand. So ist es nicht verwunderlich, daß Bolsonaro bereits im Wahlkampf vor diesem Kauf warnte: brasilianische Unternehmer würden so bald Zoll „im eigenen Land zahlen“. 

Auch in Argentinien wird das chinesische Engagement von weiten Teilen der Bevölkerung kritisch gesehen, man befürchtet einen Ausverkauf des Landes und vor allem eine Tolerierung chinesischer Fangflotten im Atlantik. Immer wieder kam es dort in der Vergangenheit zu Zusammenstößen zwischen der Marine und chinesischen Trawlern, die sich wenig um die marinen Schutzgebiete Argentiniens kümmern. 

In anderen Ländern Lateinamerikas ist das chinesische Engagement ganz offiziell nicht mehr nur rein wirtschaftlicher Natur. In Nicaragua befindet sich ein Gegenentwurf zum Panamakanal in Planung, die Oberhoheit hat hier die Volksrepublik. Auch in Ecuador oder Peru hat die Beteiligung chinesischer Staatsfirmen an diversen Häfen und Bahnlinien eine doppelte Funktion: einerseits als Ankerstelle für chinesische Firmen, andererseits auch als Druckmittel im politischen Alltag. 

Auch militärisch ist der Einfluß Chinas zunehmend spürbar. Die Indiorepublik Bolivien hat bereits 2011 eine enge militärische Partnerschaft mit der Volksrepublik eingeleitet, und chinesische Flottenbesuche in den Pazifikstaaten Chile, Peru und Ecuador sind seit 2009 häufiger geworden. 

So entsteht in beachtlichem Tempo eine zunehmende chinesische Präsenz im traditionellen Hinterhof der USA. Eine adäquate Antwort der USA auf die chinesische Geldoffensive steht jedoch noch aus – ein Wettrüsten der Freigebigkeit ist bisher noch nicht erkennbar.