© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 17/19 / 19. April 2019

Die anderen Parteien aufgeschreckt
Im Netz erfolgreich: Das Social-Media-Team der AfD-Bundestagsfraktion baut sein Angebot aus
Gil Barkei

Ein Stehtisch, zwei Barhocker. Letzte Feinjustierungen an den zwei neuen Sony-Kameras, dem Richtmikrofon und den aufgestellten Leuchten, die mit dem Gegenlicht der Sonne kämpfen, die durch die große Glasfront des zum Bundestag gehörenden Marie-Elisabeth-Lüders-Hauses scheint. 

Ansonsten ist das dreiköpfige Team drehbereit: ein Moderator, ein Kamera- und Tonmann sowie einer am Klapprechner, der den Facebook-Livestream des anstehenden Bürgerdialogs der AfD-Bundestagsfraktion überwacht. Mehr braucht es mittlerweile nicht zur Konkurrenz zum Hightech-Fernsehstudio. Auf dem Bildschirm zählt ein Countdown runter, der auch auf dem offiziellen Facebook-Profil der „AfD-Fraktion im Deutschen Bundestag“ zu sehen ist: „Gleich geht’s los!“ Gut 500 Zuschauer haben sich bereits „eingeklickt“.

Die drei jungen Männer, die erzählen, sich das technische Wissen autodidaktisch beigebracht zu haben, werden langsam unruhig. Doch dann kommt die Co-Fraktionsvorsitzende Alice Weidel endlich. Es ist erst die dritte Folge des neuen Formats des Social-Media-Teams der Alternative. Jede Sitzungswoche soll sich künftig ein Abgeordneter der größten Oppositionspartei den Nutzerfragen stellen, die über Facebook eingereicht werden können. 

Weidel antwortet souverän auf den bunten Themenkatalog von Klimawandel, über die anstehenden EU-Wahlen bis hin zum Sozialstaat. Im Hintergrund flanieren Passanten am Spreeufer entlang. Einige halten an und schauen mit an die Stirn gelegten Händen durch die Scheibe – manche winken, einer streckt beim Umdrehen seinen Mittelfinger aus. 

Nach gut 30 Minuten ist der Live-Dreh beendet. Zum Ende waren es über 1.300 Zuschauer. Das Angebot werde bisher sehr gut aufgenommen, sagt Moderator Roman Pankratow. „Die AfD betont damit erneut die Bürgernähe als ihr Markenzeichen. Wir behandeln die echten Fragen der Menschen, während andere Politiker oft nur gestellt ihre Floskeln vortragen.“ 

Mit dem verstauten Equipment, das auf einem kleinen Rollbrett Platz findet, geht es die unterirdischen Gänge unter der Spree entlang zurück ins Büro. Im Untergeschoß des Jakob-Kaiser-Hauses des Bundestages sitzt das Social-Media-Team der AfD-Fraktion, das Youtube, Facebook, Twitter und Instagram bespielt. Ein großer runder Konferenztisch, zwei Drei-Mann-Tische, auf einem Computerbildschirm laufen Dpa-Meldungen ein, auf einem anderen wird gerade an einer „Kachel“-Grafik gearbeitet. Auf der obersten Etage bei den Fraktionsbüros befindet sich noch ein kleiner Raum mit einem Greenscreen und einer Vertonungsecke. „Bis zum Anfang des Jahres saßen wir noch da oben“, erklärt Mario Hau, Leiter Soziale Medien, und zeigt sich zufrieden mit den neuen größeren Räumlichkeiten. Zu seinem Team gehören neben seinem Stellvertreter ein Videoredakteur, ein Mediengestalter, eine Textredakteurin und ein Pressereferent als Bindeglied zur Pressestelle der AfD, mit der man eng zusammenarbeite. 

Die Reichweite wird eingeschränkt

Gerade in den Sitzungswochen steht viel auf den morgens in einer Telefonkonferenz besprochenen Tagesplänen. Jeden Dienstag stellt dann der Parlamentarische Geschäftsführer der AfD, Bernd Baumann, die geplanten Anträge und Initiativen mit den beteiligten Fachpolitikern in einer Live-Pressekonferenz vor. 

Da kämen auch regelmäßig Kamerateams der bekannten Sender, nur würde kaum etwas in den Nachrichtensendungen verwendet. Genau dieser Mißachtung der AfD in den etablierten Medien möchte Haus Mannschaft entgegentreten und die Inhalte der AfD-Fraktion über die digitalen Kanäle den Bürgern präsentieren. 

Bereits während des Europawahlkampfes 2014 hat Hau Social-Media-Projekte für die AfD umgesetzt. In Rheinland-Pfalz hat er ab 2015 mit dem heutigen medienpolitischen Sprecher der dortigen AfD-Landtagsfraktion, Joachim Paul (JF 14/18), daraufhin AfD-TV aufgebaut. „Wir sind zum Beispiel zu zweit einfach mit einer Kamera und einem Stativ zur Pro-Erdogan-Demonstration nach Köln gefahren und haben direkt auf der Demo mit 50.000 türkischen Teilnehmern gedreht und live auf Facebook gestreamt. Das hat im Netz so eingeschlagen, daß wir gesagt haben wir machen weiter.“ Diese regionalen Projekte sind mittlerweile etwas eingeschlafen, da die Bundestagsfraktion viel Aufmerksamkeit auf sich zieht.

Im Bundestag hat Hau als Ein-Mann-Betrieb direkt am Abend der Bundestagswahl 2017 angefangen. „Die Kanäle waren vorbereitet, so daß wir die nur noch freischalten mußten“, erinnert er sich. „Die ersten Beiträge waren Fotos von der Wahlparty. Gleich in der ersten Nacht haben wir die ersten 10.000 Follower auf Facebook gewonnen.“ Der zweite große Schritt war die erste Bundestagssitzung, zu der der Youtube-Kanal in Betrieb genommen wurde. Hau und sein Team laden seitdem alle Bundestagsreden der AfD-Abgeordneten auf das Videoportal hoch. Hinzu kommen – auch auf den anderen sozialen Kanälen – besonders knackige Wortmeldungen, Veranstaltungen der Fraktion im Bundestag sowie einzelne Videobotschaften. Mittlerweile gibt es ein ganzes Portfolio an unterschiedlichen Orten im Parlament, die sich je nach Uhrzeit und entsprechender Sonneneinstrahlung besonders für Videoaufnahmen eignen.

Auf ihrem Hauptkanal Facebook zählt die AfD-Fraktion über 100.900 Abonnenten, die Fraktions-Profile von SPD (62.100), CSU/CDU (53.700), Grünen (39.500) und FDP (32.800) deutlich weniger. Nur die Linkspartei ist mit 126.500 Abonnenten noch beliebter. Dafür kommt Gegenwind von den Internetkonzernen selbst. Seit etwa einem halben Jahr seien bei Facebook Reichweiteneinschränkungen von 20 bis 30 Prozent festzustellen, beklagt Hau. „Seit vier Wochen nehmen diese derart zu, daß durchschnittlich ein Reichweitenrückgang um mehr als 50 Prozent zu verzeichnen ist.“ Hinzu kämen Shadowbanning bei Twitter, und auch bei Youtube seien schon Videos gelöscht worden. „Vielleicht mehr Inhalte auf die eigene Webseite holen“, überlegt Hau bei der Frage, wie man dagegen vorgehen will.

Union und SPD ziehen nach

Trotzdem und auch wenn die AfD beim Aufbau ihres Anfang vergangenen Jahres sehr laut angekündigten Newsrooms gerade bei den Personalstellen hinterherhinkt, ist ihr Erfolg in den digitalen Medien beachtlich. Und hat die politische Konkurrenz aufgeschreckt: Nicht nur mehrere Ministerien, auch CDU/CSU und SPD wollen ihre Präsenz in den sozialen Netzwerken intensivieren und haben den Ansatz der AfD aufgegriffen. Die Unionsfraktion baut in ihrer Pressestelle einen eigenen Newsroom auf, und für ihr Pendant konnte die SPD kürzlich Carline Mohr als Leiterin verpflichten, die zuvor unter anderem die Social-Media-Abteilung bei Bild verantwortete. 

„Man merkt, die anderen Parteien schauen aufmerksam auf die AfD“, meint auch Hau. Doch er und sein Team wollen ihre multimediale Präsenz ebenso weiter ausbauen. Gemeinsam absolviere man regelmäßig Schulungen, jeder solle ideellerweise alle Bereiche vom Schnitt bis zum Grafikdesign beherrschen können. Instagram soll intensiver genutzt werden sowie kurze 99-Sekunden-Videos konkrete Anträge der Partei genauer erläutern. Zur Diskussion stehen zudem ein Podcast, Talkrunden mit mehreren „gern auch AfD-kritischen“ Teilnehmern sowie eigene Dokumentationen und umfangreichere Erklärfilme. Besonders die dann doch stattgefundene Diskussion des Migrationspaktes sei ein Beispiel dafür, wie das wirksame Zusammenspiel in der AfD ein Thema öffentlich machen kann, das von den etablierten Parteien und Medien vernachlässigt wird.