© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 17/19 / 19. April 2019

Omas Likör ist angesagt
Lange Zeit als Alte-Leute-Getränk abgetan, meldet sich der Eierlikör zurück
Felix Krautkrämer

Eierlikör und hip, das klingt wie „modischer Feinrippschlüpfer“, es schließt sich eigentlich aus. Wohl kaum einem Getränk klebte Jahrzehntelang das Image vom tantenhaften Kaffeekränzchen und onkelhafter Schrankwandminibar an – jedoch: völlig zu Unrecht. Es brauchte offenbar eine Generation Abstinenz, bis nun die Enkel das Getränk ihrer Großeltern wiederentdecken und schätzen. Und so erlebt die Spirituose der fünfziger und sechziger Jahre momentan ein wahres Revival. In Zeiten, in denen Retro und Vintage angesagt sind, ist das, was gestern noch als spießig galt, plötzlich Kult. Vor allem in Großstädten erfreut sich der gelbe Likör einer stetig wachsenden Beliebtheit. Dort ist er mancherorts so populär, daß er in Bars und Clubs auf die Cocktailkarte und sogar in die Liga der „Kurzen“ zurückgekehrt ist – nur daß Kurze heute leider Shots heißen. 

Der Nektar ist auch schnell selbst hergestellt

Für Vertreter der „Kein Alkohol ist illegal“-Fraktion war Eierlikör hingegen nie wirklich verschwunden. Ob jetzt zu Ostern oder zu Weihnachten, ob aus dem Glas, dem Waffel- oder Schokobecher: ein Schluck süßes Gelb geht immer. 

Seine Entstehung verdankt der Eierlikör dem kühleren europäischen Klima. Ursprünglich stammt das Getränk nämlich aus Südamerika, genauer gesagt: aus dem heutigen Brasilien. Die dortigen Ureinwohner mixten Rum, Rohrzucker und das Fleisch von Avocados zu einem Likör. Die Seefahrernationen brachten das Rezept in der Kolonialzeit nach Europa, scheiterten jedoch aufgrund der klimatischen Bedingungen daran, Avocados zu kultivieren. Der Flame Eugen Verpoorten griff daraufhin im Jahr 1876 ersatzweise zu Eigelb – und der Eierlikör war erfunden. Die flämische Bezeichnung Advocaat für den ursprünglichen Avocadoschnaps behielt das Getränk jedoch bis heute.

In Deutschland ist Verpoorten – bekannt als „ei, ei, ei Verpoorten“, das als Werbejingle seit 1961 zur Musik des Schlagers „Maria aus Bahia“ geträllert wird – unangefochtener Markführer. Bis zu 130.000 Flaschen werden im Bonner Werk in Spitzenzeiten täglich abgefüllt. Hierfür benötigt das Unternehmen deutlich über eine Million Eigelb – pro Tag. 

Da für den Likör nur der Dotter gebraucht wird, verarbeitet Verpoorten das Eiweiß zu Trockeneiweiß, das wiederum an Süßwarenfabrikanten weiterverkauft wird, wo man es beispielsweise für die Füllung von Negerküssen benötigt. Nur auf den Eierschalen, die bei der Produktion tonnenweise anfallen, bleibt das Unternehmen sitzen. Teilweise werden sie kompostiert und als Dünger auf die Felder gebracht.

Daß Eierlikör derzeit einen Imagewandel weg vom Oma-Schnäpschen erlebt, hat man natürlich auch in Bonn bemerkt. Genaue Umsatzzahlen will Verpoorten auf Nachfrage nicht mitteilen, man schreibe aber seit 143 Jahren „ausschließlich schwarze Zahlen“, verrät eine Sprecherin. Um bei der jüngeren Kundschaft noch stärker zu punkten, bietet Verpoorten mittlerweile weitere Varianten seines Likörs an. Ein Trend, der auch bei anderen Eierlikörproduzenten sowie in Supermärkten zu beobachten ist. 

Bei Verpoorten beispielsweise gibt es die Sonderedition „Pfirsich-Maracuja“, die sich nach Angaben des Unternehmens „mit ihrer exotisch-fruchtigen Note ideal zum Mischen von sommerlichen Drinks mit Prosecco/Sekt oder on the rocks“ anbiete. Zugegeben, den Cocktail kann sich auch der größte Alkoholliebhaber nur mit einem anschließenden Runterspülbier vorstellen, aber so geht es vermutlich vielen vorurteilsbeladenen Nichtkennern beim Gedanken an Eierlikör überhaupt.

Wer es hingegen klassisch mag, der kann den klebrig-süßen Nektar auch ganz einfach selbst herstellen. Die Zutatenliste ist überschaubar und in jedem gewöhnlichen Supermarkt zu bekommen. Außer Eigelb, Kondensmilch, Puder- und Vanillezucker sowie Alkohol (vorzugsweise Rum, Klarer oder Primasprit) wird nichts weiter benötigt. Anleitungen sowie das genaue Mischungsverhältnis finden sich in jedem Cocktail-Mix-Buch aus der Zeit vor der Wiedervereinigung oder einfach im Internet. Der Verfasser dieser Zeilen, so viel sei verraten, schwört hierbei auf das Rezept „Eierlikör nach DDR-Tradition“ vom Portal chefkoch.de.