© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 18/19 / 26. April 2019

Mehr Streit wagen
„Laßt uns Populisten sein“: Ralf Schuler beklagt in seinem Buch Politische Korrektheit und Selbstzensur
Jörg Kürschner

Hauptstadtjournalismus in Merkel-Deutschland: Der Buchautor, Leiter des Berliner Parlamentsbüros der Bild-Zeitung, redet auf dem Bundespresseball mit Dieter Stein, dem Chefredakteur der JUNGEN FREIHEIT. Ein übliches Kollegengespräch sollte man meinen. Weit gefehlt. „Verschwörerisch-raunend“ sei er anschließend gefragt worden, ob er gar nicht wüßte, mit wem er da gesprochen hätte, berichtet Ralf Schuler. „Wo Kontakt- und Sprechverbote in den Alltag einziehen, wo es schädlich sein könnte, mit bestimmten Personen gesehen zu werden, kehren wir an finsterste Punkte unserer eigenen, deutschen Geschichte zurück“, schlußfolgert der Verfasser. Zu Recht.

In seiner lesenswerten Streitschrift hält er der Gesellschaft, insbesondere Politikern und Journalisten den Spiegel vor ihr politisch-korrektes Gesicht, das bei Erwähnung der AfD meist erstarrt, erbebt oder gar entgleist. An den Abgeordneten der drittstärksten Oppositionspartei im Bundestag klebt das Etikett des Rechtspopulismus, gemeint als politisches Schimpfwort. Schuler unternimmt den Versuch, diesen Begriff zu entdämonisieren, da er zu Denkblockaden führe. Obwohl doch jene Themen, die das Volk („populus“) berühren, öffentlich diskutiert werden müßten.

Die politische Wirklichkeit sieht anders aus, wie Schuler anhand zahlreicher Beispiele belegt. Das Bekenntnis zum klassischen Nationenbegriff wird mit dem Hinweis auf einen angeblich alternativlosen Multilateralismus ebenso diskreditiert wie eine restriktive Einwanderungspolitik mit dem Signalbegriff der Willkommenskultur. Oder die klassische Mutter-Vater-Kind-Familie, die die Vorkämpfer der „Ehe für Alle“, befördert durch Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), ins gesellschaftliche Abseits stellen wollen.

Wie ist dies möglich, da vom postnationalen Zeitalter nichts zu merken ist, uns die fatalen Folgen von Merkels Migrationspolitik samt Spaltung der Gesellschaft längst eingeholt haben und die traditionelle Familie unbestritten das „Kleinkraftwerk der Gesellschaft“ geblieben ist. „Das Volk stört beim Regieren“, formuliert Schuler, es müsse sogar stören, „wenn die Vorstellungen der politischen Akteure sich allzu weit von denen der Menschen entfernt haben“. 

Zu spüren waren die unterschiedlichen Welten ab Herbst 2015, als die Bundesregierung die Grenzen öffnete und „Deutschland für eine fatale Weltsekunde nicht bei Verstand“ war. Das Land, so Schulers Analyse, sei damals „ in die wohl tiefste Spaltung der Nachkriegsgeschichte“ geglitten. Die meisten Medien haben diesen Prozeß befördert, indem sie den Migrationskurs der Kanzlerin lange Zeit kritiklos begleiteten. Aus der Vierten Gewalt sei eine „Blockpartei der Macht geworden“, fällt sein Urteil schonungslos aus. Es spricht für den Chef des Berliner Parlamentsbüros, daß er dabei seine eigene Zeitung nicht ausnimmt. Die Kampagne mit dem Bild-Button „Wir helfen“ sei für das Boulevardblatt zu einer „dauerhaften Hypothek“ geworden. Der Begriff der Lügenpresse war geboren.

Daß die Meinungsfreiheit nicht nur durch die Politische Korrektheit, die weit verbreitete Selbstzensur in vielen Redaktionsbüros, bedroht ist, spart Schuler nicht aus. Etwa durch den Ende vergangenen Jahres von der Regierung unterzeichneten UN-Migrationspakt. Unverhohlen wird kritischen Medien mit der „Einstellung der öffentlichen Finanzierung oder materiellen Unterstützung“ gedroht, „die systematisch Intoleranz, Fremdenfeindlichkeit, Rassismus und andere Formen der Diskriminierung gegenüber Migranten fördern“. 

Schuler entwickelt eine beachtliche Sensibilität gegenüber sich andeutenden Einschränkungen der Meinungsfreiheit, die wohl auf seine Sozialisation in der DDR zurückzuführen ist. Daß die von einem früheren Stasi-Spitzel geführte und mit öffentlichen Geldern hoch subventionierte Amadeu-Antonio-Stiftung einen Online-Pranger für „rechte“ Publizisten einrichten wollte, „schüttelt mich physische Angst“, beschreibt Schuler seine Gefühlslage. 

Dessen politische Bestandsaufnahme ist kein Plädoyer für die AfD. Doch rät er zu einer differenzierten Betrachtung der Partei. Klar grenzt er sich vom „Flügel“ und dessen Protagonisten Björn Höcke ab. „Rechte raus!“ zu rufen, reiche aber nicht. „Deutschland muß wieder ‘rechts’ lernen“, empfiehlt Schuler. Der „historische Fehler“ der Union bestehe darin, den Aufstieg der AfD zugelassen zu haben. „Duckmäusertum“ wirft er der Partei vor. In Mecklenburg-Vorpommern sei die CDU eingeknickt, da sie den angesehenen Juristen Sascha Ott wegen eines „Likes“ auf einer AfD-Seite nicht wie vorgesehen als Justizminister nominiert hatte. Schuld an der Hegemonie linker Ideen habe die bürgerliche Mitte selbst, „die den Rändern keine oder zu wenig Gegenwehr entgegensetzt“. Der CDU rät er daher zurückzufinden zu „voller programmatischer Breite“. 

Ralf Schuler hat ein ungewöhnlich ehrliches Buch verfaßt. Möge es ihm beruflich nicht schaden in der von ihm so trefflich beschriebenen Demokratie als „Herrschaft der Mittelklugen. Die größten Dummköpfe bekommen keine Mehrheit und die Genialen leider auch nicht“.

Ralf Schuler: Laßt uns Populisten sein. Zehn Thesen für eine neue Streitkultur. Verlag Herder 2019, gebunden, 240 Seiten, 22 Euro