© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 18/19 / 26. April 2019

Kochen, Putzen, Töten
IS-Frauen: Rückkehrerin aus Syrien lebt unbehelligt in Hamburg / 28jährige in München wegen Mordes angeklagt
Björn Harms

Der Fall mutet bizarr an: Eine glühende Anhängerin des Islamischen Staats, die in höchsten Kreisen der Terrormiliz verkehrte, lebt seit Jahren unbehelligt in Hamburg. Beruflich als Übersetzerin und Event-Managerin tätig, ist Omeima A. heutzutage kaum noch als knallharte Islamistin zu erkennen. Ihr Äußeres wirkt unscheinbar, das Kopftuch hat sie abgelegt. Dank Recherchen der libanesischen Journalistin Jenan Moussa, die schon länger den Lebensläufen von „Auslandskämpfern“ des IS nachgeht, wurde diese Geschichte nun publik.

Moussa hatte zunächst von einem Informanten in Syrien ein unbekanntes Handy zugespielt bekommen. Es ist das Mobiltelefon von Omeima A. Das erweist sich als erstaunliche Fundgrube. Die darauf enthaltenen Bilder zeigen A.s Alltag im Islamischen Staat in Syrien. So sind ihre Kinder zu sehen, die mit IS-Symbolen und Waffen posieren. Auf anderen Fotos präsentiert sich A. mit einer Kalaschnikow, zeigt den IS-Gruß oder kocht für ihre Familie. 

Laut Sicherheitskreisen reist A. im Januar 2015 mit ihren drei Kindern von Frankfurt am Main in Richtung Syrien. In der Türkei holt sie ihr damaliger Ehemann ab, der aus dem Rhein-Main- Gebiet stammende Salafist Nadir Hadra. Dann geht es zum IS. Den deutschen Behörden bleibt das nicht verborgen. Auf dem Handy der Frau findet sich das Foto eines Schreibens vom Jobcenter, datiert auf März 2015. Darin informiert das Amt A. darüber, daß ihr die Leistungen gestrichen werden. Begründung: „Ausreise ins Ausland (Syrien)“. Doch wenig später stirbt ihr Mann Hadra in der Schlacht um Kobane im Norden Syriens. Omaima A. heiratet erneut. 

Ihr neuer Lebenspartner wird Deutschlands wohl bekanntester IS-Terrorist Dennis Cuspert alias Deso Dogg. Auch er ist häufig auf Bildern aus dem Mobiltelefon zu erkennen. Das letzte dieser Fotos entsteht Ende 2015. Journalistin Moussa glaubt zunächst, die Frau müsse tot sein. Doch dann entdeckt sie A. auf einem aktiven LinkedIn-Profil, das in Deutschland erstellt worden war. Und tatsächlich: Bei einer Reise nach Hamburg kann Moussa die Islamistin ausfindig machen. A. lebt zurückgezogen mit ihren Kindern in einer Reihenhaussiedlung in Neugraben-Fischbek.

Die Gerichte stehen vor juristischem Neuland

„Ich konnte mir nicht vorstellen, daß jemand mit dieser Geschichte frei in Deutschland herumläuft“, wundert sich die Journalistin. „Im Irak und in Syrien hat der IS Zehntausende auf dem Gewissen und diese Frau kann sich mitten in Hamburg ein neues Leben aufbauen?“ 

Warum ermittelte niemand gegen A.? Natürlich habe man den entsprechenden Fall „zur Kenntnis genommen“, stellt ein Sprecher der Bundesanwaltschaft auf Nachfrage der JUNGEN FREIHEIT klar. Es sei bekannt, daß A. im September 2016 über die Türkei nach Deutschland zurückgekehrt sei. Derzeit werde noch geprüft, ob strafrechtliche Ermittlungen eingeleitet werden. 

Doch auch die jetzt veröffentlichten Privatfotos müssen nicht zwangsläufig in einer Anklage münden. Die Gerichte stehen vor einem juristischen Dilemma. „Wir können nur Einzelfälle zur Prüfung stellen“, erklärt der Sprecher der Bundesanwaltschaft. Deutsche Gerichte würden den bloßen Aufenthalt bei den Dschihadisten nicht als Straftat werten. Frauen könnten häufig nur schwer „Betätigungshandlungen“ nachgewiesen werden, heißt es. Die „Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung“ lasse sich schwer ermitteln, wenn ihre Tätigkeit im wesentlichen darin bestanden habe, „den Männern den Rücken freizuhalten“ – also zu kochen, zu putzen und die Kinder zu versorgen. Die magere Bilanz der Justiz: Gegen fünf Frauen, die aus den Gebieten des IS zurück nach Deutschland eingereist sind, wurde bislang Haftbefehl erlassen, gegen zwei von ihnen Anklage erhoben. 

Eine von ihnen ist Jennifer W. Der Prozeß gegen die 28jährige hat vor zwei Wochen in München begonnen. Sie soll, nachdem sie sich Ende August 2014 dem IS angeschlossen hatte, in den Parks der irakischen Städte Falludscha und Mossul für die Sittenpolizei patrouilliert haben. Ihre Aufgabe sei es gewesen, darauf zu achten, daß Frauen die von der Terrororganisation aufgestellten Verhaltens- und Bekleidungsvorschriften einhalten. Als monatliche Entlohung habe sie hierfür zwischen 70 und 100 US-Dollar erhalten. Doch damit nicht genug. Jennifer W. soll gemeinsam mit ihrem irakischen Mann, den sie im Gebiet des IS kennenlernte, eine fünfjährige Jesidin als Sklavin gehalten haben. Im Sommer 2015 soll W.s Mann das Kind bei brütender Hitze im Innenhof ihres Hauses angebunden und alleine gelassen haben. Die Fünfjährige verdurstete unter den Augen der Angeklagten qualvoll.

Für die Beschuldigte endete die Zeit im Herrschaftsgebiet des IS, als sie im Januar 2016 die deutsche Botschaft in Ankara aufsuchte. Dort wollte sich die damals Schwangere neue Ausweispapiere besorgen. Beim Verlassen des Botschaftsgebäudes wurde sie von türkischen Sicherheitskräften festgenommen. Bereits wenige Tage später wurde sie nach Deutschland abgeschoben. Genau wie Omeima A. lebte die Fanatikerin zunächst in Freiheit. Im Juni 2018 plante die Niedersächsin, erneut nach Syrien zu reisen – allerdings im Auto eines V-Manns, dem sie unterwegs auch die Geschichte vom Tod des jesidischen Mädchens erzählte. In Bayern war die Reise zu Ende. W. wurde festgenommen und wird nun wegen Mordes angeklagt.

In kurdischen Gefangenenlagern warten derweil weitere deutsche Staatsbürgerinnen auf ihre Rückkehr nach Deutschland. Schätzungen belaufen sich auf rund 40 deutsche Frauen, die dem IS angehört haben. Wer von ihnen wie in die Verbrechen der Terrormiliz verwickelt war, ist unklar. Das Auswärtige Amt hat eigenen Angaben zufolge keinen Kontakt zu den Frauen. Doch unabhängig davon prüfe die Bundesregierung „auch in Abstimmung mit ihren Partnern mögliche Optionen, um deutschen Staatsangehörigen, vor allem Kindern,  eine Rückführung nach Deutschland zu ermöglichen“, teilt die Behörde mit.





IS-Rückkehrer werden zur Bedrohung

Das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) warnt vor einem erhöhten Sicherheitsrisiko durch die Rückkehr von Anhängern der Dschihadistenmiliz Islamischer Staat aus Syrien und dem Nordirak. Die Zahl der Menschen, die vom Verfassungsschutz dem sogenannten „islamistisch-terroristischen Personenpotential“ zugeordnet werde, sei 2018 um mehr als 300 auf 2.240 gestiegen.  „Dazu kämen noch eventuelle Rückkehrer“, sagte BfV-Präsident Haldenwang. Man müsse weiterhin jederzeit mit einem Anschlag in Deutschland rechnen. Auch deshalb soll der Verfassungsschutz nach dem Willen der Großen Koalition künftig bei Ermittlungen Zugriff auf Kurzmitteilungsdienste wie WhatsApp erhalten. „Um die Verfassung vor den Feinden unserer demokratischen Grundordnung zu verteidigen, muß der Verfassungsschutz selbstverständlich auch Zugriff auf moderne Kommunikationsmöglichkeiten haben“, sagte SPD-Vize Ralf Stegner dem Handelsblatt. Natürlich müsse die Überwachung unter der Kontrolle des Parlaments stehen.