© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 18/19 / 26. April 2019

„Links oder rechts ist kein Maßstab mehr“
Interview: Finnen-Partei-Politiker Olli Kotro will auch bei der EU-Wahl punkten und mit Lega und AfD eine starke Fraktion bilden
Curd-Torsten Weick

Herr Olli Kotro, überrascht über das Abschneiden der Finnen-Partei bei der Parlamentswahl? Mit 17,5 Prozent lag Perussuomalaiset (PS) nur knapp hinter den Sozialdemokraten (17,7 Prozent), die stärkste Kraft wurden. 

Olli Kotro: Seit Dezember 2018 verzeichneten wir schon eine steigende Tendenz und es war klar, daß das Ergebnis zweistellig wird. Da die Ausländerkriminalität Ende 2018 (besonders die Sexualverbrechen durch Asylbewerber) Thema wurde, konnte man unsere Positionen nicht einfach mehr ignorieren. Das Ziel der Kartellparteien war natürlich, uns zu marginalisieren. Doch die Tatsache, daß wir an unsere Partei geglaubt und bis zur letzten Sekunde gearbeitet haben, hat uns geholfen. Natürlich war der Erfolg eine Überraschung – im positiven Sinne. 

Was will Perussuomalaiset? Opposition bleiben oder Verantwortung in der Regierung übernehmen?

Kotro: Die Regierungsverhandlungen muß die größte Partei (also die Sozialdemokratische Partei Finnlands, SDP) beginnen. Ich zitiere den Parteivorsitzenden unserer Partei, Jussi Halla-aho: „PS ist bereit, mit allen Parteien zu verhandeln, entscheidend sind nicht die Namen der Parteien oder Personen, sondern die Inhalte.“ Leider gibt es schon jetzt Meldungen, daß die Altparteien im voraus einen geheimen Vertrag gegen unsere Partei geschlossen haben, um uns komplett von den Sondierungen auszuschließen.

Wie stehen die Chancen der Perussuomalaiset bei der EU-Wahl? 

Kotro: Es ist in der Vergangenheit immer so gewesen, daß die Wahlbeteiligung bei der EU-Wahl deutlich niedriger war. Dies war eher negativ für uns. Angenommen, der Brexit findet nicht statt, dann stünden Finnland 13 Plätze im EU-Parlament zu (14 beim Brexit). Um zwei Mandate zu bekommen, sind cirka 200.000 Stimmen (cirka 12 Prozent) erforderlich. Im Jahr 2014 haben wir dies geschafft. Bei den Umfragen waren wir auf 17 Prozent und haben letztendlich eine Unterstützung von 12,9 Prozent bekommen. Sollte diese Entwicklung sich wiederholen, hätte unsere Partei mindestens zwei Mandate. Eins davon bekleidet der PS-Vorsitzende Jussi Halla-aho. 

Welche Themenschwerpunkte stehen im Mittelpunkt Ihres Wahlkampfs?  

Kotro: Unser Europawahlprogramm ist noch nicht veröffentlicht worden, aber die Schwerpunkte wurden eigentlich schon bei dem Treffen mit Matteo Salvini (Lega), Anders Vistisen (Dänische Volkspartei) und Jörg Meuthen (AfD) Anfang April in Mailand bekanntgegeben: Gegen Masseneinwanderung, für mehr nationale Souveränität sowie für den Schutz der europäischen Kultur. Natürlich gibt es andere Themen, aber wir sind vor allem gegen die „Vereinigten Staaten von Europa“ und für ein Europa der Vaterländer. Eine Schulden- und Transferunion lehne ich ab, die EU soll ihre Kosten abbauen und ihren Integrationswahn bewältigen.

Wird es eine völlige Neuordnung der Fraktionen auf der EU-kritischen Seite des EU-Parlaments geben?

Kotro: In Mailand wurde der Grundstein für eine neue patriotische Fraktion gelegt. Soweit ich die Lage richtig interpretiere, werden wir auch eine starke Fraktion haben. Die von den britischen Konservativen geführte Fraktion der Europäischen Konservativen und Reformer (EKR) ist und war eine schwache Gruppe, die unsere finnische Delegation relativ schlecht und arrogant behandelte. Hauptfunktion der EKR ist, eine scheinbar eurokritische Gruppe zu sein, mit der die Torys in England punkten wollen. Die schlimmste Beleidigung bisher war, als die EKR im Dezember 2017 in Straßburg ein gemeinsames EKR-Weihnachtsfest organisierte. Die Engländer luden Timo Soini (Außenminister Finnlands) ein. Also den Mann, der die Finnen-Partei verlassen hatte, um seinen Ministerposten zu behalten. Warum ein Überläufer eingeladen wurde, wissen wir nicht. Angeblich sind die Engländer mit ihm sehr gut befreundet. Denn es war seine Idee, der EKR beizutreten. Es wäre besser gewesen, in der von der Ukip geführten Fraktion Europa der Freiheit und der direkten Demokratie (EFDD)  zu bleiben. Wenn die Torys wegfallen, bleibt wohl von der EKR nicht viel übrig. Mir persönlich ist es eine Ehre und Freude, mit der AfD zu arbeiten, egal ob ich gewählt werde oder als Mitarbeiter weitermache.

Vlaams-Belang-Chef Tom van Grieken sieht Europa am Scheideweg. Die Grenze verlaufe längst nicht mehr zwischen links und rechts. Die Wähler hätten zu entscheiden, ob sie die Globalisierung à la Merkel und Macron wollten oder aber eine den Nationen dienende Politik wie die von Salvini und Orbán. Was meinen Sie dazu?

Kotro: Van Grieken hat völlig recht. Auch in unserer Partei gibt es sowohl eine eher linksgerichtete Schule als auch liberalere Ideen. Der wichtigste Punkt ist jedoch, daß alle Finnland schützen wollen und keine Masseneinwanderung oder „United States of Europe“ wollen. „Links“ oder „rechts“ ist kein vernünftiger Maßstab mehr. Es geht mehr um den Kampf „Souveränisten gegen Euroglobalisten“. Politiker wie Orbán und Salvini geben sehr viel Hoffnung.

Welche brennenden Fragen muß das nächste EU-Parlament beantworten? Wie stehen die Chancen?

Kotro: Das EU-Parlament ist letztlich eine sehr schwache Institution. Erstens weil die Wahlbeteiligung sehr niedrig und weil in Brüssel eine Lobbykratie herrscht. Das Parlament wird zum größten Teil von Fanatikern wie Guy Verhofstadt (ALDE), Udo Bullmann (S&D), Manfred Weber (EVP) oder Ska Keller (Grüne) geführt. Deren Vorschläge sind realitätsfern und folgen immer dem gleichen Schema: Es gibt ein Problem, die EU löst es nicht. Ergebnis: Wir brauchen mehr EU. Aufgrund des großen Anteils EU-Fanatiker und Föderalisten sind meine Erwartungen nicht sehr hoch. Das Parlament wird, abgesehen von den patriotischen Mitgliedern, mit voller Kraft die megalomanischen EU-Projekte von Merkel und Macron fortsetzen. Das Parlament ist nicht in der Lage, Antworten zu geben. Diese EU-Volkskammer kann nur ideologische Bekanntmachungen produzieren.

Wie bewerten Sie den Abgang von Parteiurgestein Timo Soini & Co.? 

Kotro: Im Juni 2017 hatten wir unseren Parteitag. Die Unzufriedenheit war sehr groß, da Timo Soini nicht mehr die Positionen unserer Partei vertrat, sondern ein linientreuer Gefolgsmann der Altparteien wurde, um seinen Ministerposten zu behalten. Als im Frühling 2017 klar wurde, daß Jussi Halla-aho als Parteivorsitzender gewählt werden kann, haben die alte Parteiführung und andere untreue Überläufer eine heimtückische Operation geplant und die auch verwirklicht. Ich bin fest davon überzeugt, daß wir noch nicht alles darüber wissen. Ich glaube auch, daß Frankreich und Deutschland damals Finnland erpreßten und der finnischen Regierung vorgeschrieben haben, was sie tun sollte, falls Halla-aho gewählt würde. Im großen und ganzen war der Abgang von Soini & Co. nur gut. Unsere Partei konnte sich besser entwickeln, zu einer richtigen patriotischen Volksbewegung. Wie immer, nach dem Abfließen des Eiters vom Abszeß tut es ein bißchen weh, aber das Endergebnis ist um so besser. Soinis Blaue-Zukunft-Partei erzielte nun ein Prozent und ist nicht mehr im Reichstag verteten. Die Blaue Zukunft ist nur blau, aber ohne Zukunft. 






Olli Kotro ist Kandidat der  Finnen-Partei  bei der EU-Wahl Ende Mai 2019.