© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 18/19 / 26. April 2019

Im Stand der Ritterwürde
Kino: Robert Mitchells Dokumentarfilm „Tea with the Dames“
Sebastian Hennig

Regisseur Robert Mitchell begleitete für „Tea with the Dames“ mit seinem Drehstab das nachmittägliche Teekränzchen von vier betagten englischen Damen. Die kennen sich seit über fünfzig Jahren und sind als Schauspielerinnen seit je daran gewöhnt, in ihren Regungen beobachtet zu werden. Aufgrund ihrer Verdienste für die dramatischen Künste wurden sie von der Königin oder dem Prinzen von Wales geadelt. Eine Dame ist im Vereinigten Königreich die weibliche Entsprechung zum Ritter.

Die älteste des Quartetts, Dame Joan Plowright, hat Dame Judi Dench, Dame Maggie Smith und Dame Eileen Atkins auf ihren Landsitz geladen, den sie bis zu dessen Tod im Jahr 1989 mit ihrem Mann Laurence Olivier geteilt hat. Den Schauspieler und Regisseur hatte sie 1961 geheiratet. Olivier wurde 1971 zum Baron erhoben und hat in dieser Eigenschaft auch im Oberhaus des britischen Parlaments das Wort ergriffen. Entsprechend ist Dame Joan Plowright zugleich eine Baroness Olivier.

Als Ranghöchste figuriert sie als würdevollste Teilnehmerin des Quartetts. Ihre 1934 geborenen Kolleginnen sind fünf Jahre jünger als sie. Eher unauffällig gibt sich Eileen Atkins, während Judi Dench als eine echte Diva trotz ihrer Stellung kräftig fluchen kann. Als der Regisseur es wagt, nach den Erfahrungen mit dem Altern zu fragen, bekommt er von ihr einen unflätigen Ausdruck an den Kopf geworfen. Voller Empörung erinnert sie sich, von einem Sanitäter als hilflose Alte bemuttert worden zu sein, nachdem sie eine Hornisse ins Gesäß gestochen hatte. Die Demütigung läßt sie im nachhinein immer wieder aufbrausen. Für sie ist es klar, daß die Damen bis zum Ende tätig bleiben, wenn sie auch zusammen nur noch über drei gesunde Augen verfügen, wie sie mit Galgenhumor feststellt.

Da sitzen nun diese Grauen des Theaters beisammen und blicken auf den Hexenkessel ihres Komödiantenlebens zurück. Sie begreifen sich vor allem als respektable Bühnenschaupielerinnen, die ihr Handwerk von der Pike auf gelernt haben und nicht etwa durch ein niedliches Gesicht auf der Filmleinwand populär geworden sind. Sie bekennen vielmehr offenherzig, in jungen Jahren eher nicht als Schönheiten gegolten zu haben. Die Filmausschnitte aus frühen Tagen unterstreichen das.

Erinnerungen an den Platzhirsch Laurence Olivier

Eileen Atkins Mutter bekam von einer Zigeunerin prophezeit, daß ihre Tochter Tänzerin werden würde. Bevor die Nahaufnahmen der Filmkamera unsere Erwartungen an eine Schauspielerin zu dominieren begannen, war noch deren Temperament und Attitüde ausschlaggebend. Inmitten der glatten Ebenmäßigkeit posierender Film-Mannequins ist die bewegte Anmut inzwischen eher selten anzutreffen. Als es zu regnen beginnt, begibt sich die Gesellschaft ins Innere des Hauses, wo später auf den Tee noch ein Glas Champagner getrunken wird.

Im Mittelpunkt ihrer Lebensenergie steht das Theater. Dagegen ist die Arbeit am Film nur ein Job, eine Reklame mit hohem Verbreitungsgrad. Den Zuschauern außerhalb Englands sind die Damen darum bevorzugt von ihren späten Filmrollen her bekannt. Zuweilen agierten sie zusammen, wie Dench und Atkins in „Best Exotic Marigold Hotel“ (2011). Außer letzterer sind alle drei in Franco Zefirellis „Tee mit Mussolini“ (1999) als die Scorpioni zu erleben, jene englische Damen, die während des Faschismus ihre florentinische Residenz beibehielten. Mitchell zeigt zwischen den Gesprächen kurze Ausschnitte aus den Filmen und Theateraufführungen sowie private Aufnahmen. Maggie Smith spielte als Lehrerin für Verwandlungskunst in Verfilmungen der Harry-Potter-Romane mit. Die Herausforderung bestand für sie vor allem darin, mit ihrem Schauspielpartner im Zauberlehrerkollegium Alan Rickman immer neue Grimassen zu probieren. 

Ihre näselnde Standard-Attitüde schaute sie sich von Kenneth Williams ab, dem Komikerstar der Carry-On-Klamotten. Die Folgen der BBC-Serie „Downton Abbey“, an der die heute 84jährige mitwirkte, dagegen hat sie sich nie angesehen. Der technische Aufwand des Filmapparates beeindruckt sie wenig. Stattdessen wird um so eindrücklicher an den Platzhirsch des britischen Theaters Laurence Olivier erinnert. Maggie Smith hat er als Othello eine heftige Ohrfeige versetzt. Er war so in seiner Rolle, daß er die impulsive Geste nicht bemessen hat und seine Bühnen-Desdemona wirklich mißhandelte.

Die jugendliche Dench agierte mit grün bemaltem Antlitz neben Olivier in „Ein Sommernachtstraum“ an der Royal Shakespeare Company. Smith bekennt, daß sie nervös waren, die mit ihm zu tun bekamen. Selbst Plowright gesteht, daß das Zusammenleben mit ihrem 22 Jahre älteren Kollegen seine Schattenseiten hatte. Ihr „Larry“ war eine Naturgewalt und ein Alptraum. Dramatik, Eifersucht und Eitelkeit fluten vom Beruf her in das Leben ein.

Mitchell ist ein theatralischer Film über Film und Drama gelungen, der den vier Damen die Regie über ihr Leben beläßt.

Kinostart am 25. April 2019