© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 18/19 / 26. April 2019

Wiedergänger aus der moslemischen Welt
Der nordfriesische Seefahrer Hark Olufs als Sklave der Barbaresken Nordafrikas
Ralf Küttelwesch

Mein Gott, im Angesicht meines nahen Todes scheint es mir, als hätte ein anderer mein Leben gelebt und ich hätte ihm dabei zuschauen müssen. Es ist wahr, ich habe mir mein Leben nicht gewählt, ich wurde von einem Leben erwählt und mußte damit fertig werden, im Guten wie im Schlechten. Und ich denke, der Tod wird mich eines Tages auch nicht nach meinen Plänen fragen und mich einfach hinterrücks morden.“ Nach dem Ableben des hier zitierten Hark Olufs am 13. Oktober 1754 in Nebel auf Amrum erzählten sich die Leute auf der Insel, er sei ein Wiedergänger und gehe zwischen dem Friedhof und seinem Haus um. Dabei war sein Leben auch ohne diese Geschichten schon abenteuerlich genug.

Hark wurde als Sohn des Kapitäns Oluf Jensen im Juli 1708 auf Amrum geboren, mit 13 Jahren wurde er Matrose auf der „Hoffnung“, einem kleinen Handelsschiff, das seinem Vater zur Hälfte gehörte. Die „Hoffnung“ war eine Dreimast-Bark und lief unter der Hamburger Flagge, ein reines Transportschiff mit nur vier Kanonen auf Deck und zwei kleinen Heckgeschützen als einziger Bewaffnung zur Abwehr von Piraten. Das Schicksal nahte auf dem Rückweg von Nantes nach Hamburg in Gestalt von algerischen Korsaren, „Barbaresken“ genannt. Der Begriff leitete sich von den nordafrikanischen Berberstämmen ab, und sie waren die Geißel der Handelsschiffe aller Nationen im Mittelmeer und darüber hinaus. Es ging damals wie heute um den Zusammenprall der Zivilisationen. 

Das Osmanische Reich verlor im 17. Jahrhundert die Kontrolle über die Maghrebstaaten. Westlich von Ägypten hatten sich die Herrscher über die Städte und Häfen längst von ihrem Oberherrn, dem Sultan in Istanbul, unabhängig gemacht und betrieben Politik auf eigene Faust. Sie gingen dazu über, sich von Seeräuberei zu unterhalten, um die Nahrungs- und Rohstoffbasis der Städte zu sichern. Ihr bevorzugter Schiffstyp war eine etwas längere Abart der Mittelmeergaleere, der „Schebecke“, von einem übergelaufenen Flamen namens Simon Danser eingeführt.

Interessant für die „Barbaresken“ war nicht nur die Ladung der Schiffe, sondern auch die aufgebrachten Schiffe selber, vor allem aber die Besatzungen. Als Sklaven brachten sie den meisten Gewinn für die nordafrikanischen Korsaren, die sich nicht als Piraten sahen. Ihre Stadtstaaten befanden sich im Kriegszustand mit den meisten europäischen Staaten. Wichtiger aus ihrer Sicht war allerdings die Begründung, daß sie schließlich als Moslems gegen Christen, also gegen Ungläubige, kämpften. Hunderttausende hatten das Pech, von „Barbaresken“ gefangengenommen zu werden. Bis 1650 wurden allein in Algier mehr als 20.000 christliche Sklaven verkauft. Das Schicksal der gefangenen Christen war hoffnungslos, die einzige Möglichkeit, der Gefangenschaft zu entkommen, war das Freikaufen durch die Familie. Diese konnte sich an die „Sklavenkasse“ wenden, die Städte wie Hamburg, Lübeck und Kopenhagen zu diesem Zweck eingerichtet hatten. Zwar hatten die christlichen Seemächte immer wieder Strafexpeditionen nach Tunis, Tripolis oder Algier unternommen, die Korsaren fanden aber jedesmal Möglichkeiten, den europäischen Kontingenten auszuweichen.

Auch das junge Amerika, gerade unabhängig von der Seemacht England, war den „Barbaresken“ schutzlos ausgeliefert. Etliche Handelsschiffe unter amerikanischer Flagge wurden aufgebracht. Die US-Regierung versuchte daher, mit Tributen die Beys von den Kaperungen abzuhalten. Zu diesem Bakschisch kamen hier auch Lösegeldzahlungen. Erst Präsident Thomas Jefferson verweigerte die Zahlungen. Nachdem der Herrscher von Tripolis 1801 den USA daraufhin den Krieg erklärt hatte, schickte Jefferson die großen Fregatten der US Navy ins Mittelmeer. Auch Algier, Tunis und Marokko schlossen sich der Kriegserklärung an, und die Schiffe „Constitution“, „Philadelphia“ und „Intrepid“ stachen in See. Es war der erste „Barbareskenkrieg“ und dauerte von 1801 bis 1805. Er endete mit der Entscheidungsschlacht bei Derna in der Cyrenaika im heutigen Libyen, die für die Amerikaner ausging. 

Hark Olufs konvertierte zum Islam und machte Karriere

Daraufhin ließen sich die „Barba-resken“-Führer auf einen Waffenstillstand und Gefangenenaustausch ein und brachen prompt ihre Versprechen. Nach dem Abzug der US-Marine wurden wieder amerikanische Schiffe aufgebracht, wieder US-Bürger von Muslimen gefangengenommen und in die Sklaverei verkauft. Von 1812 bis 1815 befand sich Nordamerika im Krieg mit England, und erst 1815 führte Stephen Decatur junior eine Flotte von zehn Kriegsschiffen ins Mittelmeer. Schon die Drohung, er werde Algier zerstören, genügte diesmal, um zehn US-Geiseln und weitere Europäer freizubekommen und die Tributzahlungen vertraglich zu beenden. Dem schlossen sich auch Tunis und Tripolis an. Das Ende der „Barbaresken“ kam erst 1816 durch den Angriff der Briten auf Algier und nach 1830 durch die französische Kolonialisierung Nordafrikas.

Die „Hoffnung“ mit ihrer geringen Bewaffnung hatte keine Chance gegen die „Barbaresken“, die Bark wurde aufgebracht und die Matrosen nach Algier verschleppt. Darunter auch Hark Olufs. Auf dem Sklavenmarkt wurden sie feilgeboten, doch für Hark fand der Sklavenhändler zunächst keinen Käufer, er kam in ein Verlies, in dem weitere Europäer schmachteten. Schließlich kaufte ihn ein reicher Araber, der auf Lösegeld spekulierte. Harks Familie konnte die geforderte Summe nicht allein aufbringen und wandte sich an den Sklavenetat des Königreichs Dänemark, eine Gemeinschaftskasse, für die vor den Kirchen gesammelt wurde, um genau in einem solchen Fall zu helfen. Ihr Antrag jedoch wurde abgelehnt, da die „Hoffnung“ unter Hamburger Flagge lief. Die Hamburger lehnten den Antrag ab, da Amrum nicht zur Freien und Hansestadt Hamburg gehörte.

Die Odyssee des Amrumer Matrosen ging weiter, er wurde wieder auf dem Sklavenmarkt angeboten und vom Ankäufer des Bey, dem Fürsten von Constatine im Osten des heutigen Algerien gekauft. Dem Bey fiel auf, daß der deutsche Lakai zu mehr in der Lage war, als niedrige Arbeiten zu verrichten. Nach drei Jahren, 1724 bis 1727, stellte er Hark, nachdem dieser zum Islam konvertiert war, als Schatzmeister ein. Unter dem Bey stieg er rasch auf und wurde zuerst Kommandeur der Leibgarde, dann der ganzen Kavallerie. Als Lohn für seine treuen Dienste entließ der Bey den als Teilnehmer einer Hadsch nach Mekka hochgeehrten Olufs 1735 schließlich in die Freiheit. Seine erworbenen Güter durfte der Amrumer auf den beschwerlichen Weg in die Heimat mitführen.

Auf der nordfriesischen Insel heiratete der erst 28 Jahre alte Hark und gründete eine Familie. Den Rummel, der um seine Person entstand, nahm er mit orientalischer Gemütsruhe hin, in seiner Autobiographie von 1747 schrieb er: „Man nennt mich einen Helden, einen Türken-General, siegreich aus großen Schlachten hervorgegangen. Man zieht den Hut vor mir, verneigt sich vor meinem Geld, fürchtet mich vielleicht auch wegen meiner Andersartigkeit. Es sind eigens Männer nach Amrum rausgekommen, um mich in meiner Türkenhose zu bestaunen und meinten, Gott weiß was über die Schönheit orientalischer Frauen zu hören. Ich habe ihnen allen die Geschichten erzählt, wegen derer sie mich aufgesucht haben, und auch den Pastoren ihre Seelenruhe gegeben, versichert, daß es allein unserem Christengott zu verdanken ist, daß ich überlebt habe, jetzt zu seinem Ruhm ein gottgefälliges Leben führe und ihn preise.“