© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 18/19 / 26. April 2019

Frisch gepresst

Ungarn 1919. In diesem Jahr hagelt es hundertjährige Gedenktage, die Geschichtsredakteure bundesdeutscher Leitmedien brav abarbeiten. Meist kredenzen sie aber nicht nur die billige Hausmarke moralinsaurer Erinnerungscocktails, sondern verharren dabei entgegen gern reklamierter Weltoffenheit in der sonst verpönten „national verengten“ Perspektive. Regelmäßig bleibt daher Deutschlands postrevolutionäre Geschichte isoliert von den Umwälzungen in Rußland und Mitteleuropa. Nur im Fall der ungarischen Räterepublik, etabliert am 21. März 1919, gibt es dafür eine Entschuldigung: das Sprachproblem. Ungarische Forscher, soweit sie in ihrer Muttersprache publizieren, werden im internationalen Wissenschaftsbetrieb kaum wahrgenommen. Um so wertvoller ist der aus österreichisch-ungarischer Kooperation entstandene Sammelband, der über unbekannte Seiten dieses blutigen Sozialexperiments orientiert. Die apologetischen, gegen Viktor Orbáns, die Räterepublik ignorierende Gedenkpolitik gerichteten Tendenzen vieler Beiträge muß der Leser allerdings in Kauf nehmen. (ob)

Christian Koller, Matthias Marschik (Hrsg.): Die ungarische Räterepublik 1919. Innenansichten, Außenperspektiven, Folgewirkungen. Promedia Verlag, Wien 2018, gebunden, 277 Seiten, Abb., 21,90 Euro





Fontane. In der sich bereits auftürmenden Literatur zu Theodor Fontanes 200. Geburtstag am 30. Dezember empfiehlt sich die Biographie, die Hans Dieter Zimmermann über den „Romancier Preußens“ vorlegt, durch überschaubaren Umfang, flüssigen Stil und im besten Sinne populäre Darstellung, die wissenschaftliche Ansprüche erfüllt, obwohl sie ausdrücklich keinen eigenen Beitrag zur Forschung leisten will. Gewidmet hat der emeritierte Berliner Literaturhistoriker sein Werk der langjährigen Kollegin an der West-Berliner Akademie der Künste, Elisabeth Killy (1920–2017). Wie ihr Bruder, der bekannte Germanist Walther Killy (1917–1995), verkörperte sie für Zimmermann „das alte gebildete Berlin, das einmal das Fontanes war: Höflichkeit, Abwesenheit von Vulgarität, (…), eine Haltung, die auch in schwierigen Situationen standhielt und natürlich umfassende Bildung“. Diesem Publikum, das heute nicht nur in der bundesdeutschen Proll-Hauptstadt auf der Liste der bedrohten Arten rangiert, dürfte die Lektüre tatsächlich ein Genuß werden. (wm)

Hans Dieter Zimmermann: Theodor Fontane. Der Romancier Preußens. Verlag C.H. Beck, München 2019, gebunden, 458 Seiten, Abbildungen, 28 Euro