© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 18/19 / 26. April 2019

Knapp daneben
Vertrauen in die Marktwirtschaft
Karl Heinzen

Gerald Gans weiß sich gegen Ladendiebe zu schützen. Damit sie ihm in seinem Kölner Edeka-Supermarkt nicht auch noch die Einkaufswagen entwenden, hat er diese mit Wegfahrsperren sichern lassen. Jeder kann nur soviel stehlen, wie er zu tragen vermag.

Manchmal gelingt es, Dieben nicht bloß auf der Flucht hinterherzuschauen, sondern sie auf frischer Tat zu ertappen. Dies ist die Aufgabe des Ladendetektivs, der das mit Videokameras aufgezeichnete Geschehen am Bildschirm überwacht und dann, wenn er etwas Auffälliges bemerkt, herbeieilt, um den Verdächtigen an der Kasse zu stellen. Über 100 Strafanzeigen sind auf diese Weise in der jüngsten Zeit zusammengekommen, der penible Kaufmann hat sie fein säuberlich in Aktenordnern gesammelt. In allen Fällen ist die Beweislage dank der Videoaufnahmen eindeutig. Zu einer Strafverfolgung kommt es dennoch nie. Nach ein bis zwei Monaten flattert ein Schreiben der Staatsanwaltschaft ins Haus, in dem zu lesen ist, daß das Verfahren eingestellt wurde.

Der Justiz fallen immer neue Gründe ein, die Ladendiebe trotz Viedeobeweisen laufen zu lassen.

 Gerald Gans ist überrascht, wie kreativ die Justiz sein kann, um immer neue Gründe für eine immer gleiche Entscheidung zu erfinden. Mal ist es die jugendliche Unreife des Täters, mal fehlt ein öffentliches Interesse an der Strafverfolgung, immer wieder wird die Geringfügigkeit des Diebstahls festgestellt, manchmal hat man es auch mit einem Intensivtäter zu tun, der so viele Verfahren am Hals hat, daß das bißchen Klauen nicht mehr ins Gewicht fällt. Den eigentlichen Grund für ihre Untätigkeit verschweigen die Staatsanwälte jedoch systematisch: Sie wissen, daß die Marktwirtschaft auch ohne ihr Zutun zu einer vernünftigen Lösung führt. 

Das Grundvertrauen ist berechtigt. Würde Gerald Gans auf die Ehrlichkeit aller seiner Kunden bauen, wäre er längst pleite. So preist er die Kosten der Ladenüberwachung und die Verluste durch Diebstahl einfach ein. Wird mehr geklaut, muß der Schaden halt auf die zahlenden Kunden umgelegt werden. Eine zusätzliche Strafverfolgung brächte keinen weiteren Effizienzvorteil. Es entstünden bloß Kosten, und diese hätte der Steuerzahler zu tragen.