© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 19/19 / 03. Mai 2019

Helfer brauchen Hilfe
Feuerwehr: Für die Brandbekämpfer in Deutschland steht es nicht zum besten / Immer weniger Leute müssen mehr und schwierigere Einsätze stemmen / Die Politik ist gefordert
Peter Möller

Feuerwehrleute leben gefährlich – und das liegt nicht nur an ihrem Kampf gegen die Urgewalt Feuer. Neben den berufsbedingten Gefahren müssen Feuerwehrleute in Deutschland immer häufiger mit Überlastungen durch Personalmangel und unzureichender Ausstattung kämpfen. Dazu kommt: Immer öfter werden die Retter Opfer von Angriffen durch Passanten. Etwa am Freitag vergangener Woche in Berlin-Charlottenburg. Bei einem Einsatz in einer Bar, die als Treffpunkt für Personen aus dem arabischen Clan-Milieu gilt, werden zwei Sanitäter der Feuerwehr aus einer 20köpfigen Menge heraus bespuckt und durch Tritte verletzt. 

Kein Einzelfall: Allein in Berlin registrierten die Behörden im vergangenen Jahr 101 Übergriffe auf die Feuerwehr. Deutschlandweit sind die registrierten Angriffe auf Polizisten und Rettungskräfte von 33.296 Fällen im Jahr 2011 auf 40.379 Angriffe im Jahr 2017 gestiegen, wie die Bundesregierung im März als Antwort auf eine Kleine Anfrage des AfD-Bundestagsabgeordneten Stephan Brandner mitteilte.

Doch die Dunkelziffer ist offenbar bedeutend höher. Nach einer Studie der Ruhr-Universität Bochum, für die 2017 rund 4.000 haupt- und ehrenamtliche Feuerwehr- und Rettungsdienstkräfte aus Nordrhein-Westfalen befragt wurden, hatten 80 Prozent der Einsatzkräfte den jeweils jüngsten Übergriff nicht gemeldet, berichtete das Feuerwehrmagazin. Sogar wenn die Betroffenen Opfer körperlicher Gewalt wurden, sahen 30 Prozent davon ab, den Vorfall zu melden. Dabei sagten mehr als 20 Prozent der Angegriffenen aus, sie hätten dabei psychische Beeinträchtigungen erlitten. Rund 40 Prozent berichteten nach Angaben des Fachmagazins von körperlichen Schäden. Grundsätzlich habe der Respekt vor den Rettern abgenommen. „Wenn eine Unfall- oder Brandstelle abgesperrt ist, passiert es häufiger als früher, daß man blöd angepöbelt wird. Die Leute denken, ‘ich will da durch, warum soll ich einen Umweg nehmen?’“, schildert das Mitglied einer Freiwilligen Feuerwehr aus Niedersachsen seine Erfahrungen gegenüber der JUNGEN FREIHEIT.  

Doch nicht nur Angriffe setzten der Feuerwehr zu – auch der anhaltende Personalmangel und die Vernachlässigung durch die Politik machen den Brandbekämpfern zu schaffen. „Jede zehnte bis fünfzehnte Stelle bei den Berufsfeuerwehren ist derzeit unbesetzt“, sagte der Sprecher der Deutschen Feuerwehr-Gewerkschaft, Tobias Thiele, der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Bei mehr als 30.000 Berufsfeuerwehrleuten der rund 100 Berufsfeuerwehren in Deutschland ergibt sich daraus ein Fehlbestand von bis zu 3.000 Einsatzkräften. Laut Thiele gebe es zwar genügend Bewerber, „doch zu wenige bringen die nötigen Fähigkeiten mit“. Die Folgen des Personalmangels sind fatal: Die vorhandenen Kräfte müßten immer mehr Überstunden leisten, was durchaus zu einem Sicherheitsrisiko werden könne, warnt Thiele. „Das zehrt an der Substanz.“

Das liegt auch – so berichtet der freiwillige Feuerwehrmann aus Niedersachsen – an der gestiegenen Zahl von Einsätzen. „Teilweise rufen die Leute viel schneller die Feuerwehr, wo früher Selbsthilfe die Regel war.“ Von Mitarbeitern der Rettungsdienste ist ähnliches zu hören. „Da wählt man dann nachts die 112 und erzählt, man habe seit einer Woche Bauchschmerzen.“ Besonders häufig, so die Erfahrung, täten dies Personen, die jüngst zugewandert seien, erläutert ein Rettungsassistent der JF. 

Mindestens zehn neue Löschhubschrauber nötig

Im rot-rot-grün regierten Berlin, wo die Lage der Feuerwehr besonders angespannt ist, gingen die Feuerwehrleute in den vergangenen Monaten regelmäßig auf die Barrikaden. Jeden Freitag entzündeten sie vor dem Roten Rathaus eine Feuertonne mit dem Schriftzug „Berlin brennt“, um auf ihre Situation aufmerksam zu machen. Denn insbesondere in Berlin ist nicht nur die personelle Situation äußerst angespannt, auch an der Ausrüstung hapert es. Der Fahrzeugpark der Feuerwehren in der Hauptstadt gilt als völlig überaltert, viele Fahrzeuge sind älter als 20 Jahre. 

Die Folgen: Im vergangenen Jahr betrug die Ausfallquote bei den Löschzügen in Berlin 17 Prozent, in Spitzenmonaten sogar mehr als 21 Prozent, geht aus der Antwort der Berliner Innenverwaltung auf eine parlamentarische Anfrage des FDP-Abgeordneten Marcel Luthe hervor. Im Vorjahr bezifferte die Innenverwaltung den Investitionsstau allein im Feuerwehr-Fuhrpark auf 160 Millionen Euro. Als konsequent kündigte der Senat Neubeschaffungen von jährlich 18,4 Millionen Euro an, um diese Lücke schrittweise zu schließen. Über die besonders prekären Zustände in der Hauptstadt weiß in Feuerwehrkreisen nahezu jeder Bescheid. „Da will sich auch keiner hin versetzen lassen, selbst wenn das aus familiären Gründen angezeigt wäre“, berichtet ein Rettungsdienstmitarbeiter einer hessischen Berufsfeuerwehr im Gespräch mit der jungen freiheit.  

Doch nicht nur die Bundesländer sind für die Ausrüstungsmängel verantwortlich, auch die Bundesregierung war in den vergangenen Jahren knauserig. Daher fehlen deutschlandweit 528 Lösch- und Schlauchfahrzeuge, die der Bund für den Zivilschutz zur Verfügung stellen soll. Das geht aus einer Antwort des Bundesinnenministeriums auf eine kleine Anfrage der FDP-Fraktion im Bundestag hervor. Besonders viele Fahrzeuge fehlen demnach in Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen, wo weniger als die Hälfte der eingeplanten Fahrzeuge verfügbar sind. Nach Angaben des Innenministeriums sollen nun bis Mitte des Jahres 430 Lösch- und Schlauchwagen beschafft werden. Bisher ist davon aber noch keines ausgeliefert worden, berichtet die FAZ. 

Während die Feuerwehr mit den Unbilden der gesellschaftlichen Entwicklungen und den Versäumnissen der Politik kämpft, droht durch die anhaltende Trockenheit des vergangenen Jahres eine neue Front aufzubrechen: eine durch den Klimawandel möglicherweise dauerhaft steigende Waldbrandgefahr in Deutschland. Experten fordern die Politik bereits dazu auf, Vorsorge zu treffen: „Die Feuerwehren in Deutschland müssen auf mindestens zehn weitere Löschhubschrauber zugreifen können, um in der diesjährigen Waldbrandsaison adäquat auf Vegetationsbrände reagieren zu können“, fordert der Präsident des Deutschen Feuerwehrverbandes (DFV), Hartmut Ziebs. Angesichts der aktuellen Witterungsverhältnisse sei es auch in diesem Frühjahr in einigen Bundesländern bereits zu Wald- und Flächenbränden gekommen. „Es muß möglich sein, an drei Großschadenslagen im Bundesgebiet parallel jeweils mindestens drei Hubschrauber im Rotationsprinzip in den Einsatz zu bringen. Hinzu kommen Wartungsarbeiten oder anderweitige Nichtverfügbarkeit. Im Schnitt braucht jedes Flächenbundesland einen Hubschrauber“, rechnet der DFV-Präsident vor.

Angesichts der bereits bestehenden Ausrüstungsmängel bei der Feuerwehr scheint es allerdings mehr als fraglich, daß die Politik den Forderungen des Experten schnell nachkommen wird. Den Feuerwehrleuten in Deutschland dürften daher bis auf weiteres heiße Zeiten bevorstehen.





Florianstag

Am 4. Mai wird – vor allem in katholischen Gegenden – der Gedenktag des Heiligen Florian begangen. Weil der im Jahre 304 den Märtyrertod gestorbene Florian von Lorch als römischer Offizier in einer Brandbekämpfungseinheit diente, wird er als Schutzpatron der Feuerwehren verehrt. Viele Einheiten führen auch heute noch das christliche Leitmotto „Gott zur Ehr, dem Nächsten zur Wehr“. In Deutschland gibt es über 30.000 Berufs- und etwa 990.000 freiwillige Feuerwehrleute.