© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 19/19 / 03. Mai 2019

Starnberg und Duisburg trennen Welten
Einkommens- und Vermögensverteilung: Unterschiede in Deutschland sind beträchtlich
Christian Schreiber

Den oberen zehn Prozent der Haushalte gehören etwa 55 Prozent des gesamten Nettovermögens in Deutschland. In Italien liegt dieser Wert nur bei 44 Prozent, in den USA sind es sogar 77 Prozent. Der Abstand zwischen dem oberen und dem unteren Viertel der Deutschen bei der Nettovermögensverteilung („Interquartilsabstand“) stieg von 203.000 auf 262.000 Euro: „Dies entspricht einem Anstieg um fast 30 Prozent von 2010 auf 2017.“ Das sagt nicht Sahra Wagenknecht oder Guido Reil von der AfD, sondern der aktuelle Monatsberichtsaufsatz (4/19) der Bundesbank.

Schon eine Studie der Bundesbank aus dem Jahr 2016 stellte bereits eine „relativ große Ungleichheit“ fest, die sich allerdings über Jahrzehnte manifestiert habe. Bei den Super-Reichen sind die Unterschiede noch schärfer. In Deutschland besaßen 2014 die 45 reichsten Haushalte so viel wie die ärmere Hälfte der Bevölkerung. Beide Gruppen kamen zuletzt jeweils auf insgesamt 214 Milliarden Euro Vermögen.

Einwanderung belohnt Immobilieninvestoren

Der Boom an den Aktienmärkten und die Masseneinwanderung (zwischen 2010 und 2018 hat die Bevölkerung in Deutschland um 2,6 Millionen zugenommen) sowie die Privatisierung öffentlicher Wohnungsbestände, die Immobilien und Mieten verteuerte, hat diejenigen bereichert, die rechtzeitig entsprechend investiert hatten: Im Durchschnitt stieg der Wert des Aktienbesitzes für die Haushalte mit direkter Aktienhaltung allein zwischen 2014 und 2017 um etwa 5.000 Euro beziehungsweise 13 Prozent an, schreibt die Bundesbank.

Die Rekordimmobilienpreise schlugen sich in einem höheren Vermögen für Haushalte mit Eigentum am Hauptwohnsitz nieder, sowohl gemessen am Durchschnitt (+27.400 Euro) als auch am Mittelwert (Median, +37.200 Euro) nieder. „In der Mitte und im unteren Bereich der Verteilung findet man kaum Haushalte mit Immobilieneigentum und Aktienbesitz“, so die Bundesbank.

Betrachtet man hingegen die aktuelle regionale Einkommensverteilung in den 401 deutschen Landkreisen und kreisfreien Städten, so sind die Unterschiede zwischen Arm und Reich weit weniger dramatisch. Das zeigt eine Studie des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung (WSI). „Einheitliche oder gleichwertige Lebensverhältnisse in der gesamten Bundesrepublik zu erreichen – diesen Auftrag stellt das Grundgesetz der Politik seit fast 70 Jahren“, schreibt das WSI – und im Vergleich zu Italien oder den USA, wo die Unterschiede teilweise dramatisch sind, ist die Einkommenskluft in Deutschland erträglich: Im wohlhabendsten Landkreis Starnberg bei München ist das Einkommen mit 34.987 Euro pro Person und Jahr kaum mehr als doppelt so hoch wie in der Stadt Gelsenkirchen, die mit 16.203 Euro Pro-Kopf-Einkommen das Schlußlicht bildet. Bei seiner Auswertung stützte sich das WSI auf die Daten der Statistischen Landesämter und des Bundes. Sie betreffen das Jahr 2016.

Die reichste Großstadt ist München mit einem Pro-Kopf-Einkommen von 29.685 Euro. Mit großem Abstand folgen Stuttgart (25.012 Euro), Düsseldorf (24.882 Euro) und Hamburg (24.421 Euro). Schlechter schneiden Duisburg (16.881 Euro), Leipzig (17.770 Euro) oder Berlin (19.719 Euro) ab. Neben Teilen des Ruhrgebiets, des Saarlands und von Niedersachsen liegt vor allem Mitteldeutschland weiterhin deutlich zurück: „In nur sechs von 77 Ost-Kreisen und kreisfreien Städten überschreitet das Einkommen pro Kopf die Marke von 20.000 Euro, während im Westen 284 von 324 Kreisen und Städten darüber liegen.“ Das verfügbare Einkommen eines privaten Haushaltes ist laut WSI das Einkommen nach Steuern, Sozialabgaben und Sozialtransfers, das für den Konsum verwendet oder gespart werden kann. Nach Abzug der Preissteigerung sind die verfügbaren Einkommen zwischen 2000 und 2018 durchschnittlich um immerhin 12,3 Prozent gewachsen.

In Mitteldeutschland waren die Realzuwächse mit 13,9 Prozent etwas höher als im Westen. Allerdings sei das Ausgangsniveau dort auch deutlich geringer gewesen: „Dadurch kam es zu einer langsamen Annäherung zwischen beiden Landesteilen. Lag das durchschnittliche Pro-Kopf-Einkommen zur Jahrtausendwende noch bei 81,5 Prozent des Westniveaus, waren es 2016 knapp 85 Prozent.“ Im Osten der Bundesrepublik liegen nur sechs der 77 Kreise oberhalb einer Marke von 20.000 Euro pro Kopf, „während nur 40 der 324 westdeutschen Kreise ein niedrigeres Einkommen aufweisen“.

Interessant ist eine Tatsache, die sich vor allem durch den Westen manifestiert: Kaum 35 Kilometer trennen das pfälzische Bad Dürkheim an der Deutschen Weinstraße und das vom Strukturwandel erschütterte Kaiserslautern. Doch die Einkommensunterschiede sind groß: In Bad Dürkheim liegt das verfügbare Einkommen bei 25.615 Euro, in Kaiserslautern bei 18.796 Euro. In Heilbronn lag das durchschnittliche verfügbare Pro-Kopf-Einkommen der Privathaushalte zuletzt bei 32.366 Euro pro Jahr – das ist mehr als im reichsten EU-Land Luxemburg (30.600 Euro). Manche erklären dies mit großen Firmen im Umland wie Audi, der Schwarz-Gruppe (Lidl/Kaufland) sowie dem IT-Dienstleister Bechtle. „Außerdem wohnen wohlhabende Unternehmer wie der Lidl-Gründer Dieter Schwarz, dessen Vermögen vom US-Magazin Forbes auf rund 21 Milliarden Euro geschätzt wird, in der relativ kleinen Stadt mit rund 125.000 Einwohnern“, vermutet die Stuttgarter Zeitung. In Heilbronn sei das verfügbare Einkommen seit der Jahrtausendwende um 43 Prozent gestiegen, in der schwäbischen Industriestadt Pforzheim dagegen um rund fünf Prozentpunkte gefallen.

„Die Zahlen sollten nicht zu stark dramatisiert werden“

Der Hochtaunuskreis (31.612 Euro) zählt ebenfalls zu den drei einzigen deutschen Gebietskörperschaften, in denen das durchschnittliche verfügbare Pro-Kopf-Einkommen höher ist als in Luxemburg. Auch das ist erklärbar: Hier wohnen die Besserverdiener aus der Banken- und Börsenmetropole Frankfurt am Main. In den Regionen mit dem niedrigsten Durchschnitt – neben Gelsenkirchen und Duisburg auch die Unistadt Halle an der Saale (17.218 Euro), der Landkreis Vorpommern-Greifswald (17.303 Euro) sowie Frankfurt an der Oder (17.381 Euro) – sei das Einkommensniveau vergleichbar mit dem landesweiten Durchschnitt in Italien oder den Einkommen auf Korsika.

Der Ostbeauftragte der Bundesregierung, der thüringische Bundestagsabgeordnete Christian Hirte, versuchte die WSI-Ergebnisse schönzureden: So lebten in Süddeutschland viele Topverdiener großer Unternehmen und des Spitzensports – in Ostdeutschland gebe es traditionell weniger, sagte der CDU-Politiker. Unterstützung erhielt Hirte auch von dem Ökonomen Markus Grabka: „Die Zahlen sollten nicht zu stark dramatisiert werden“, sagte der Forscher vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW).

Problematisch sei hingegen, daß „nur das Einkommen vor den Wohnkosten verglichen wird. Die Mieten etwa in München oder der Region Starnberg sind aber viel höher als anderswo“. Grabka schlug statt dessen vor, zu vergleichen, wie viele von Armutsrisiko betroffen seien. „Das wäre viel aussagekräftiger.“

Bundesbank-Studie „Vermögen und Finanzen privater Haushalte in Deutschland“, im Monatsberichtsaufsatz 4/19: bundesbank.de

„Verfügbare Haushaltseinkommen im regionalen Vergleich“, im WSI Verteilungsmonitor: www.boeckler.de/