© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 19/19 / 03. Mai 2019

Die Jugend geht, die Zensur kommt
Kurz vor der Europawahl: Facebook paßt sich zunehmend der etablierten Politik an
Ronald Berthold

Ein Sinnbild: In dunklem Pulli, grauen Jeans und weißen Sneakers traf sich Springer-Chef Mathias Döpfner kürzlich mit Facebook-Gründer Mark Zuckerberg. Der 56jährige machte auf jugendlich. Die echten Jugendlichen aber zeigen dem größten sozialen Netzwerk der Welt zunehmend die kalte Schulter. Das Netzwerk hat sich zur Plattform für politische Botschaften entwickelt, auf der Berichte und Reportagen geteilt werden – neben inzwischen reichlich Werbung. Das ist für Jugendliche weniger interessant. Sie wechseln zu anderen Mitbewerbern, wo sie sich über Musik, Mode und Filme austauschen.

2015 ermittelte die Universität Oxford, daß 23 Prozent der Deutschen ihre Nachrichten über Facebook konsumieren. Für die Verbreitung von Meldungen ist Facebook unverzichtbar. Daher stand der US-Konzern einmal für freie Informationen. Eine gemeinsame Langzeitstudie der Technischen Universitäten Darmstadt und Dresden fand heraus: 91 Prozent aller Online-Nachrichten verbreiten die Medienhäuser über Zuckerbergs Netzwerk – und dort werden sie konsumiert. 

Einschränkung der politischen Werbung

Aber diese ältere, politaffine Klientel macht Zuckerberg massiv Probleme. Immer mehr Texte, die den Mächtigen nicht gefallen, werden gesperrt und gelöscht. Der 34jährige dient sich den Eliten zunehmend an, die die sozialen Netzwerke über europäische und nationale Gesetzesregelungen (NetzDG) versuchen zu bändigen. Politisch tickt der Linksliberale aus Silicon Valley ohnehin wie die meisten westeuropäischen Regierungschefs. In der FAZ forderte er kürzlich eine Regulierung des Internets.

Damit kommt er der Politik entgegen, die sich wünscht, Desinformation zu verhindern. Vor der anstehenden Europawahl werden die Forderungen noch stärker. Aktuell erhöht die EU-Kommission den Druck auf Facebook, Google und Twitter: Externe Forscher und Faktenchecker müßten Nutzerkonten, „Fake Accounts“ und Banner noch besser prüfen können. Monatlich legt die Kommission einen Bericht vor, wie die Unternehmen beim Kampf gegen „Fake News“ vorankommen. Dabei zieht Facebook bereits engere Grenzen für politische Werbung. Ein Team soll automatisierte Verbreitungsprozesse über „Social Bots“ aufspüren, Finanziers von Anzeigen sollen kenntlich gemacht werden. Parteien und Agenturen können in einem Land nur Wahlwerbung schalten, wenn sie nachweisen können auch in dem Land zu arbeiten. Eine genaue Definition, was bereits als politische Werbung gilt und was nicht, gibt es nicht. Der Begriff Falschmeldung ist zudem weit gefaßt. Darunter fallen bereits alternative, vom Mainstream abweichende Sichtweisen. Facebook unterdrückt Reichweiten konservativer Angebote inzwischen drastisch (JF 3/19). Das schafft Frust. 

Hinzu kommt die Abwanderung junger Leute. Laut einer Studie des Pew Research Centers unter 3.400 Facebook-Nutzern löschten im vorvergangenen Jahr 44 Prozent der 18- bis 29jährigen die App von ihrem Smartphone. Und der Trend ist ungebrochen. Der Anteil der 14- bis 19jährigen ging zwischen 2013 und 2017 von 90 Prozent auf 61 Prozent zurück. Im Gegenzug stieg die Quote bei der Generation 60 plus von 47 auf 70 Prozent. Spötter sagen, Facebook werde zum Seniorenheim. Der Strukturwechsel, den Zuckerberg ankündigte, bei den Inhalten mehr auf Persönliches denn auf Politisches zu setzen, könnte daher gefährlich werden, weil die derzeitige Kundschaft das nicht goutieren wird.

Ob tatsächlich die Datenschutz­skandale – wie oft dargestellt – für den Schwund der Teenager verantwortlich sind, erscheint zweifelhaft. Gerade in dieser Generation ist der Umgang mit den persönlichen Angaben eher sorglos, und ob andere Anbieter zuverlässiger sind, bleibt ungewiß. 

Maßgeblich dürfte sein, daß Facebook Trends verschlafen hat. Die „Story“, die für junge Menschen wichtig ist, hat Instagram viel früher angeboten. Auch beim Livestreaming kam Facebook zu spät – da hatte sich die flexible Generation längst den Plattformen zugewendet, die das im Portfolio hatten. Verlorene Nutzer kehren kaum zurück. Denn die haben sich ihr Netzwerk inzwischen anderswo eingerichtet. Viele fragen sich: Was soll ich bei Facebook, wenn meine Freunde bei Instagram, Youtube, Snapchat oder TikTok sind?

Die Übernahme von Instagram erweist sich daher als Glücksgriff. Die auf Fotos und Videos setzende Plattform ist bei den Jüngeren extrem beliebt und rettet dem Zuckerberg-Imperium gute Zahlen. Der Kauf von WhatsApp war für den Unternehmer vor allem wegen der Daten interessant, die er zu einem gigantischen Schatz zusammenführen will.

Nicht ohne Grund fordert Zuckerberg neben seinem Lob für die europäische  Datenschutzgrundverordnung gleichzeitig die „Datenportabilität“. Heißt: Die Netzwerke müssen die Daten ihrer Nutzer austauschen können. Konkret sollen sich Facebook und WhatsApp gegenseitig beim anderen bedienen können. Doch auch bei WhatsApp beginnt Facebook, die Reichweiten einzuschränken. Nutzer können Nachrichten nicht mehr beliebig oft, sondern nur noch an höchstens fünf Freunde weiterleiten. Unliebsame Botschaften werden so in ihrer Verbreitung gebremst.