© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 19/19 / 03. Mai 2019

Ahnungslose als Versuchskaninchen
Der kommende5G-Mobilstandard birgt Gefahren für die Cybersicherheit und die Gesundheit
Karsten Mark

Es war ruhig geworden an der Front der „Elektro-Smog“-Gegner. Regte sich zu Beginn des neuen Jahrtausends noch Widerstand bei jedem neuen Mobilfunk-Sendemast in einem Wohngebiet, so hörte man lange fast nichts mehr davon. Der Zubau an neuen Masten war zurückgegangen, die Netzbetreiber investierten in den vergangenen Jahren eher in die technische Aufrüstung bereits vorhandener Anlagen – und die allgemeine Akzeptanz der Smartphones ist geradezu überwältigend gestiegen. Aber auch argumentativ sind die Mobilfunk-Kritiker in die Defensive geraten. Trotz großer Studien gibt es bislang nicht den schlagenden wissenschaftlichen Beweis für die Schädlichkeit der Mobilfunksignale – ernstzunehmende Hinweise darauf hingegen schon.

Berliner „Versuchskorridor“ der Telekom

Und so macht der anstehende Ausbau des Mobilfunknetzes nach dem neuen 5G-Standard einer ganzen Reihe von Wissenschaftlern Sorgen. 180 Akademiker aus 36 Ländern haben in einem offenen Brief einen Ausbaustopp für 5G gefordert, „bis potentielle Risiken für die menschliche Gesundheit und die Umwelt vollständig durch industrie­unabhängige Wissenschaftler erforscht wurden“ (JF 11/19).

Denn ähnlich wie kurz nach der Jahrtausendwende, als mit Einführung der dritten Mobilfunkgeneration 3G (oder UMTS) Tausende neue Masten aufgestellt wurden, wird die Dichte an Sendestationen noch einmal beträchtlich steigen. Alle zehn bis zwölf Häuser braucht es eine Antenne, wenn 5G flächendeckend in der Stadt funktionieren soll. Grund sind die vorgegebenen, recht hohen Frequenzen, die die Reichweite der Funkverbindung stark einschränken.

Wer sich also in den vergangenen Jahren auf der sicheren Seite wähnte, weil der nächste Funkmast in größerem Abstand zu seiner Wohnung steht, könnte schon bald einen Sender in direkter Nachbarschaft stehen haben. Einen ersten Eindruck davon bietet der „Versuchskorridor“ der Telekom zwischen Berlin-Schönefeld und -Mitte, in dem bereits 70 neue Antennen errichtet wurden.

Der Berliner Biochemiker Franz Adlkofer hat den offenen Brief mit unterzeichnet. Er geht davon aus, daß die Mobilfunkstrahlung mit hoher Wahrscheinlichkeit gesundheitsschädlich ist. Sie verursache nicht nur Krebs, sondern habe „viele, viele andere Wirkungen darüber hinaus“, so Adlkofer gegenüber dem RBB. Auch in Deutschland gebe es „bedeutende Wissenschaftler, die sagen, was Industrie und Politik sich gegenwärtig mit der Einführung von 5G erlauben, ist Hasardieren in höchstem Maße und absolut verantwortungslos“.

Recht geben ihm Politiker in unseren Nachbarländern: Die belgische Umweltministerin Céline Fremault von den wallonischen Christdemokraten (CDH)stoppte jüngst ein 5G-Pilotprojekt in Brüssel. „Die Brüsseler sind keine Versuchskaninchen, deren Gesundheit ich aus Profitgründen verkaufen kann“, sagt sie der Brussels Times. Auch der Schweizer Kanton Genf hat den Aufbau von 5G-Antennen gestoppt. Das Moratorium soll erst wieder aufgehoben werden, wenn unabhängige Erkenntnisse über mögliche Gesundheitsschäden vorliegen.

Konsens unter Wissenschaftlern ist Adlkofers Überzeugung indes keineswegs. Seit der bislang größten Studie über Auswirkungen von Mobilfunk auf die Entstehung von Tumoren, der sogenannten „Interphone-Studie“, hat sich an der Uneinigkeit wenig geändert. Im Auftrag der Internationalen Krebsforschungsagentur IARC wurden zwischen 2000 und 2006 mehr als 5.000 Patienten mit bestimmten Gehirntumoren in 13 Ländern nach ihrer Handy-Nutzung befragt. Obwohl die Datenauswertung schon 2006 abgeschlossen wurde, dauerte es bis zur Veröffentlichung der Studie noch bis 2010.

Genug Hinweise auf eine mögliche Gefährdung

Die rund 50 beteiligten Forscher konnten sich nur mühsam zu gemeinsamen Interpretationen ihrer Ergebnisse durchringen. „Viel Aufwand für – letztlich – wenig Ertrag“, titelte seinerzeit das Deutsche Ärzteblatt. Bei durchschnittlicher Nutzung des Handys habe sich für einen erwachsenen Menschen kein erhöhtes Tumorrisiko ergeben, lautet das Resultat der Interphone-Studie. „Aber wir können daraus nicht folgern, daß kein Risiko besteht, denn es gibt genug Hinweise, die auf eine mögliche Gefährdung hinweisen“, so die gleichzeitige Relativierung der Forschungsleiterin Elisabeth Cardis. Das Bundesamt für Strahlenschutz folgt dieser Argumentationslinie. Wie ein handfester Disput unter Forschern aussehen kann, haben fünf junge Däninnen 2013 nach einer erfolgreichen Teilnahme an einem „Jugend forscht“-Projekt erfahren müssen. Sie erforschten mit einfachen Mitteln den Einfluß von gepulster Hochfrequenzstrahlung – wie sie im Mobilfunk verwendet wird, aber auch etwa beim WLAN wie in ihrem Fall – auf einen einfachen Organismus: sprießende Gartenkresse.

Penibel achteten sie darauf, daß die beiden Kästchen, in die sie ihre Kresse ausgesät hatten, so weit wie möglich identisch waren. Sogar das Gießwasser maßen sie ganz genau ab. Die Standorte der beiden Gefäße wurden ständig überwacht: Temperatur, Luftfeuchte und Lichteinfall sollten sich so wenig unterscheiden wie nur irgend möglich. Bloß in einem Punkt unterschieden sich die beiden Räume: In einem stand ein ständig sendender WLAN-Router, wie ihn mittlerweile sehr viele Leute in der Wohnung haben, und in dem anderen Raum gab es ihn nicht. Nach zwölf Tagen war die Saat zu frischen grünen Sprößlingen aufgegangen – zumindest in der einen Schale. In jener, die der Dauerbestrahlung des WLAN-Routers ausgesetzt war, entwickelte sich kaum etwas. Die Neuntkläßlerinnen taten, was gute Wissenschaftler in einem solchen Fall immer tun: Sie wiederholten ihr Experiment. Und wieder sah das Ergebnis sehr ähnlich aus.

Sollte es so offensichtlich und einfach sein zu beweisen, daß hochfrequente Strahlung schädliche Wirkungen auf Organismen hat? Die Euphorie der Nachwuchsforscherinnen wurde schnell von Profis getrübt, die ihren Versuch Stück für Stück zerpflückten: Der Laptop-Computer, der die Umweltdaten überwachte, habe zu nah an einer Schale gestanden und damit Temperatur und Luftströmung beeinflussen können, hieß es, die Samen seien nicht exakt ausgezählt worden, die Ergebnisse nicht vollständig dargestellt, und überhaupt sei es problematisch, wenn die Experimentatoren schon vorher wissen, welche Probe bestrahlt wird und welche nicht. Vernichtendes Urteil: „Ein gutes Beispiel für schlechte Wissenschaft!“

Verbraucherorganisation zum Schutz vor elektromagnetischer Strahlung:  www.diagnose-funk.org





Der SAR-Wert für Mobiltelefone

Um die Sendeleistung eines Mobiltelefons zu beziffern, wird ein SAR-Wert angegeben: Die spezifische Absorptionsrate gibt an, wieviel Watt Leistung vom Gewebe pro Kilogramm aufgenommen und dadurch erwärmt wird. Moderne Mobiltelefone haben SAR-Werte zwischen 0,1 und 1,99 Watt pro Kilogramm (W/kg). Die Weltgesundheitsorganisation WHO empfiehlt einen oberen Grenzwert von 2,0 W/kg. Das deutsche Umweltsiegel „Blauer Engel“ kann an Geräte bis 0,6 W/kg vergeben werden. Der SAR-Wert gilt jeweils für die maximale Sendeleistung eines Geräts. Die tatsächliche Sendeleistung hängt stark davon ab, wie gut der Netzempfang gerade ist. Bei gutem Empfang im Freien etwa muß das Telefon weit weniger Sendeleistung aufbringen als in einem Gebäude oder im Auto, wo das Signal stark gedämpft wird. Auch die Entfernung zum nächsten Funkmast und ob Hindernisse dazwischen liegen, spielt eine entscheidende Rolle. Die Spanne der möglichen Sendeleistungen eines Telefons ist durchaus beträchtlich und liegt üblicherweise zwischen einem und 2.000 Milliwatt.