© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 20/19 / 10. Mai 2019

Steigende Verwunderung
Venezuela: Die Strategie von Oppositionsführer Guaidó wirft zunehmend Fragen auf
Billy Six

Bundesaußenminister Heiko Maas twitterte am 30. April mit Blick auf das unruhige Venezuela, das mehrere Tage lang wieder mal am Rande der Explosion scheint: „Was wir nicht wollen ist, daß die Waffen sprechen. Wir brauchen eine politische, keine militärische Lösung.“

Doch daran wollte sich der selbsternannte, von der Mehrheit der Nationalversammlung und 54 der 193 UN-Mitglieder unterstützte „Übergangspräsident“ Juan Guaidó nicht halten und rief die „Operation Freiheit“, das Ende des seit 2013 herrschenden bolivarianisch-sozialistischen Staatschefs Nicolás Maduro aus. In Begleitung einer Handvoll Nationalgardisten stellte sich Guaidó vor der Luftwaffenbasis La Carlota den Fernsehkameras. Putsch-Gerüchte lagen in der Luft. Doch der Versuch sollte mißlingen – wie schon 1992 und 2002. Jedoch mit „nur“ vier Toten und 235 Verletzten weitaus weniger blutig.

Überraschungscoup verpufft schnell

Seinen Mentor, den wahren MUD-Oppositionsführer Leopoldo López, befreite Guaidó aus der fünfjährigen Haft, die er zuletzt im Hausarrest verbrachte – und nun als Flüchtling in der spanischen Botschaft fortsetzt. Ein Überraschungscoup, der durch den Seitenwechsel von Cristopher Figuera, dem Generaldirektor des gefürchteten Polit-Geheimdienstes SEBIN, ermöglicht worden ist. 

Figuera kam erst am 30. Oktober in das Amt, die Lage politischer Gefangener verbesserte sich unter ihm dramatisch. Dieser Reformprozeß scheint mit der Rückkehr von General Gustavo Gonzalez Lopez, einem gefürchteten Folterknecht, nun verloren. 

In einem offenen Brief prangert General Figuera die Korruption in Maduros Umfeld an. Schuldzuweisungen an die USA, so der Ex-Stasi-Chef, lenkten von den hausgemachten Problemen ab. Und die haben es in sich: Rezession, Rekord-Inflation, die niedrigsten Löhne der Welt. Chaos im erdölreichsten Land der Welt. Trotzdem brachte die Opposition nur Tausende auf die Straßen, nicht Hunderttausende wie noch im Jahr 2017. Bei vielen steigt derweil die Verwunderung, daß Guaidó in einem autoritären Staat wie Venezuela trotz monatelanger Umsturzversuche immer noch frei herumläuft. Unlängst sagte selbst der eidgenössische Außenpolitiker Fabian Molina, ein Sozialdemokrat: „In der Schweiz wäre einer wie Guaidó dank seinem Aufruf schon lange im Gefängnis.“ Die Graffitis „MUD = PSUV“, die das sozialdemokratisch-liberale Oppositionsbündnis mit der sozialistischen Staatspartei gleichstellt, finden sich schon seit Monaten im gesamten Land.