© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 20/19 / 10. Mai 2019

„2050 fahren eine Milliarde Elektroautos“
Irena-Studie 2019: Lobbyvertreter behaupten, eine weltweite Energiewende sei für 15 Billionen Dollar zu haben
Marc Schmidt

Die Rettung der Welt ist teuer. Vor allem in Deutschland und Dänemark, wo Bürger und Unternehmen um die höchsten Strompreise in Europa wetteifern. Bei den Umlagen und Abgaben für Angela Merkels „Energiewende“ sind die Deutschen sogar Weltspitze. An den Strombörsen hingegen kostet eine Kilowattstunde (kWh) im Schnitt weniger als fünf Cent (JF 19/19). Die meisten Stromversorger verdienen kaum mehr als ein Cent pro kWh, der Rest ihrer im Durchschnitt 29 bis 30 Cent Strompreis sind Steuern, Abgaben, Steuern auf Abgaben und staatlich getriebene Netzkosten.

Überschlagsrechnungen und optimistische Szenarien

Und die Strompreise werden weiter rasant steigen. Allein der „Kohleausstieg“ dürfte mit weiteren fünf Cent Preisaufschlag zu Buche schlagen, denn die etwas CO2-ärmere Alternative Erdgasverstromung ist teurer als Braun- und Steinkohle. Und wenn die allgemeine CO2-Abgabe kommt, werden die Lebenshaltungskosten massiv ansteigen – und das in allen Bereichen.

Daß dies keine rot-grüne Marotte ist, verriet Daniel Günther (CDU) im Handelsblatt: „Eine Weiterentwicklung der Energiebesteuerung zu einem wirksamen Klimaschutzinstrument kann dadurch erfolgen, daß die Besteuerung der Energieträger an deren CO2-Intensität orientiert wird“, erklärte Schleswig-Holsteins Ministerpräsident. Das Umweltbundesamt und die grüne Klimajugend von „Fridays for Future“ verlangen 180 Euro pro Tonne CO2 – sprich 50 bis 60 Cent pro Liter Kraftstoff. Heizöl müßte dann etwa doppelt so teuer sein wie heute, der Erdgaspreis würde um die Hälfte steigen. Ein Urlaubsflug in den sonnigen Süden würde um bis zu 200 Euro teurer.

Das Dementi seines wahlkämpfenden sächsischen CDU-Amtskollegen Michael Kretschmer bezieht sich für nur eine „CO2-Steuer“. Annegret Kramp-Karrenbauer, viele Ökonomen und die FDP plädieren nämlich für eine Ausweitung des EU-Emissionshandels (ETS; gilt bislang für Kraftwerken, Industrie und innereuropäischen Flugverkehr) auf alle Bereiche, die CO2-Ausstoß verursachen – also auch Heizung und Verkehr. Diese dann von Raffinerien zwangsweise zu erwerbenden CO2-Zertifikate würden Benzin, Diesel oder Heizöl zwar auch teurer machen – doch es gibt einen Vorteil: Dies wäre weniger sichtbar, denn es würde den Nettokraftstoffpreis erhöhen.

Die anderen Abgaben, Steuern und Umlagen würden formal nicht steigen. Nur die 19 Prozent Umsatzsteuer, die immer auf den Gesamtpreis erhoben wird, würde für den Fiskus noch ertragreicher: 2018 brachte die wichtigste Einnahmequelle für den Fiskus 95,5 Milliarden Euro. Mit schwarz-gelbem ETS-Zuschlag wären es weit über 100 Milliarden Euro. Die Politik könnte dann diese Preisspirale aber den Großkonzernen, Putin, Trump oder den Ölscheichs anlasten. Die Strom- oder Energiesteuer (2018: sieben bzw. 36,8 Milliarden Euro) könnten sogar sinken – nach dem Motto: Wir entlasten die Wirtschaft und den Bürger. Wer das für eine rein deutsche Diskussion hält, der irrt: Auch international wird dem CO2 an allen Fronten der Kampf angesagt.

Seit zehn Jahren mischt in diesem Business auch die Internationale Organisation für Erneuerbare Energien (Irena) steuerzahlerfinanziert mit. Nach einer Reihe unbeachteter Berichte hat Irena jetzt – anläßlich des „Berlin Energy Transition Dialogue“ im Auswärtigen Amt mit Hunderten Teilnehmern aus aller Welt – eine Überschlagsrechnung bezüglich der Kosten einer weltweiten „grünen“ Umstellung der Energieproduktion publiziert. Die Studie „Global Energy Transformation – A Road Map to 2050“ rechnet mit einer weltweiten Umstellung der Energieproduktion und der Verteilnetze auf einen Ökoanteil von 86 Prozent bis 2050, was eine Anfangsinvestition von 15 Billionen Dollar erfordern würde. Über den gesamten Zeitraum gerechnet kämen weitere 22 Billionen hinzu. Die Ausgaben des Bundes im Haushaltsjahr 2019 betragen nach Planung 356,4 Milliarden Euro, was etwa 403 Milliarden Dollar entspricht. Selbst in den ausgabenfreudigen USA lag das Bundesbudget im Fiskaljahr 2018 nur bei 4,1 Billionen Dollar.

Unterstellte Effizienzgewinne

Gute Nachrichten hält die Irena-Studie aber für Hersteller von Batterie- und Wasserstoffautos bereit: Bis zum Jahr 2050 könnte Strom zum zentralen Energieträger werden. Dessen Anteil werde sich von 20 auf fast 50 Prozent „mehr als verdoppeln“. Haupttreiber für diese erhöhte Stromnachfrage wären dann „eine Milliarde Elektrofahrzeuge, der verstärkte Stromverbrauch für Wärme“ und die Erzeugung von Wasserstoff. „Insgesamt würden erneuerbare Energien zwei Drittel der Endenergie liefern“, prophezeien die Irena-Experten.

Man kann über Sinn und Zweck weltweiter Szenarien und Kostenplanungen über 30 Jahre trefflich streiten. Ein gewisses Schmunzeln ist erlaubt, wenn eine 50seitige wissenschaftliche Studie wesentlich mehr bunte Farben als Nachkommastellen bei Berechnungen von Kosten im Billionenbereich aufweist. Die Arbeit von Irena sinkt allerdings bezüglich der Seriosität auf das Niveau von Grünen-Chefin Annalena Baerbock („Netze fungieren als Speicher“), wenn auf Basis dieser Ökostrom-Planungen volkswirtschaftliche Gewinne aus diesen Investitionen zwischen 300 und 700 Prozent versprochen werden: „Jeder Dollar, der für die Energiewende ausgegeben wird, würde eine Amortisation von drei bis sieben Dollar bringen – oder, kumuliert über den Zeitraum bis 2050, einen Ertrag von 65 bis 160 Billionen Dollar.“

Zudem könnten die angeblichen „Subventionen des Energiesektors“ bis 2050 um zehn Billionen Dollar reduziert werden. Deren Fokus müsse sich schrittweise ändern – weg von Strom und fossilen Brennstoffen, hin zu Energieeffizienztechnologien und -lösungen, die zur „Dekarbonisierung“ der Industrie und der Verkehrssektoren erforderlich seien. Die Irena-Studie berücksichtigt zwar linear unterstellte Effizienzgewinne, aber keine bahnbrechenden technologischen Veränderungen, keine unterschiedlichen Eigentumsverhältnisse an Energiesystemen weltweit und keine seriösen Prognosen über Bevölkerungsentwicklung oder Verteilung in den kommenden drei Jahrzehnten.

Wer die Ungenauigkeit der Prognose einschätzen will, sollte einfach 30 Jahre in Deutschland zurückblicken: Deutschland war geteilt, Westdeutschland diskutierte den sauren Regen als Endzeitszenario, die Umwelt in Mitteldeutschland war schlicht verseucht und beide Teile versorgten sich mit Atom- und Kohlestrom. Glaubt man Technikschätzungen dieser Zeit, hätten wir heute effiziente Glühbirnen mit geringem Wärmeverlust, aber keine multifunktionalen Smartphones.

Irena-Studie „Global Energy Transformation“:  irena.org

Masdar City im Emirat Abu Dhabi: masdar.ae





International Renewable Energy Agency

Die Internationale Organisation für Erneuerbare Energien (International Renewable Energy Agency/Irena) wurde auf Initiative der Bundesregierung am 26. Januar 2009 in Bonn gegründet. Der Organisationsaufbau wurde vom Umwelt- und Entwicklungshilfeministerium sowie dem Auswärtigen Amt vorangetrieben, um Länder „zu beraten, die richtigen Rahmenbedingungen zu schaffen, Kompetenzen aufzubauen sowie Finanzierung und Technologie- und Wissenstransfer für erneuerbare Energien zu verbessern“. Irena-Sitz ist die seit 2008 in Bau befindliche „CO2-neutrale Wissenschaftsstadt“ Masdar City im Golf-Emirat Abu Dhabi. Irena-Chef ist der Italiener Francesco La Camera, der im April den Kenianer Adnan Amin ablöste. Bislang haben 160 UN-Staaten sowie die EU das Irena-Statut unterzeichnet. 23 Länder, darunter Österreich, befinden sich noch im Beitrittsprozeß. Erdölländer wie Brasilien, Venezuela und Turkmenistan oder asiatische Staaten wie Birma (Myanmar), Laos oder Vietnam verweigerten bislang ihre Unterschrift.