© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 20/19 / 10. Mai 2019

Schwierigkeit Horizontalflug
Hubschrauber: US-Militär befeuert den Wettbewerb
Fabian Schmidt-Ahmad

Digitalstaatsministerin Dorothee Bär verkündete voriges Jahr in Firmengründermagazin NGIN Mobility, sie sei „der festen Überzeugung, daß wir in fünf Jahren schon unsere Brötchen per Flugtaxi holen“. Wer das für einen Witz hielt, wurde längst eines Besseren belehrt: Ihr CSU-Kollege und Chef Andreas Scheuer stellte im Februar 15 Millionen Euro Steuergeld für solche Elektro-Helikopter bereit: „Als innovative neue Luftverkehrsmittel können Flugtaxis beim Transport von Personen einen festen Platz im Mobilitätsmix von morgen finden – ein gewaltiger Vorteil vor allem für den ländlichen Raum“, glaubt der Bundesverkehrsminister.

In der Realität sieht die Hubschrauber-Zukunft ganz anders aus: Seit dem Erstflug der Sikorsky R-4 am 14. Januar 1942, dem ersten Serienhelikopter, hält ein Hauptrotor das Gerät in der Luft, während ein Heckrotor das Drehmoment ausgleicht. Das wird sich mit dem großangelegten „Future Vertical Lift“-Programm (FVL) der US-Streitkräfte bald ändern, denn aktuell buhlen die Sikorsky/Boeing SB-1 und der Bell V-280 um die Gunst des Militärs. Die Anforderungen der 2009 vom Pentagon formulierten FVL-Vorgaben sind enorm: Eine Reisegeschwindigkeit von mehr als 430 Stundenkilometer und eine Reichweite von 850 Kilometern erfordern eine Neukonstruktion. Denn gängige Modelle haben vor allem eine Einschränkung: sie sind auf die senkrechte Flugbewegung ausgelegt, der Horizontalflug ist nicht ihre Stärke.

Realisiert wird dieser Horizontalflug durch das Kippen des Hauptrotors. Wo ein Flugzeug die Vorwärtsbewegung für den Auftrieb braucht, muß ein Hubschrauber für jene erst einen Teil dieses Auftriebs opfern. Dadurch ist der Hubschrauber nicht nur langsamer, sondern verbraucht bei gleicher Ladung auch viel mehr Energie – was genauso für Bärs Flugtaxis gilt. Hinzu kommen noch teure Wartungskosten für die komplexe Technik. Diese Nachteile wollen die SB-1 und die V-280 verringern. Die Lösung: ein Horizontalantrieb, der nicht auf Kosten des Auftriebs geht.

Kein Mangel an Aufträgen

Bei der SB-1, die ihren Erstflug am 21. März 2019 hatte, sorgt ein Schubpropeller für den nötigen Vortrieb. Um das Drehmoment auszugleichen entschieden sich die Entwickler für einen Koaxialrotor. Für dieses Konzept, bei dem zwei Hauptrotoren gegenläufig arbeiten, ist der russische Konstrukteur Nikolai Kamow bekannt, der für die Sowjetmarine Kompakthelikopter entwarf. Der Nachteil neben dem aufwendigen Aufbau: Der Luftwiderstand für den Vorwärtsflug ist hoch. Daher wurden die Hauptrotoren eng zusammengebracht.

Dazu mußten erst spezielle, steife Rotorblätter entwickelt werden. Normale Rotoren würden aneinanderschlagen und sich gegenseitig zerstören. Erstmals erprobten Sikorsky-Ingenieure dieses Konzept 2008 mit dem Experimentalhubschrauber X-2, aus dem derzeit der leichte Unterstützungshubschrauber S-97 entwickelt wird, der sich außerhalb des FVL-Programm um Aufträge des US-Militärs bewirbt.

Die größere SB-1 soll dagegen zwölf Soldaten mit Ausrüstung transportieren können. Als möglicher Ersatz für den bisherigen Standard-Transporthubschrauber UH-60 steht sie damit in direkter Konkurrenz zur V-280, die ihren Erstflug am 18. Dezember 2017 hatte. Schon äußerlich wird deutlich, daß Bell eher ein Propellerflugzeug konstruierte. Das Besondere – die Propeller werden nach oben gekippt – und das Flugzeug startet und landet als Hubschrauber.

Dieses Konzept eines Wandelflugzeugs hat in der Bell/Boeing V-22 einen Vorgänger, dessen Erstflug bereits am 19. März 1989 stattfand. Nach mehreren tödlichen Rückschlägen befindet sich die V-22 seit 2005 im Truppenzulauf. Mit der V-280 entwickelte Bell die Technik weiter, lange Zeit mit der Hilfe des italienischen Hubschrauberherstellers Agusta, der, mittlerweile mit dem britischen Konstrukteur Westland fusioniert, das Projekt als zivile und kleinere AW609 eigenständig weiterverfolgt.

Auch dieses neuartige Konzept hat seine aerodynamischen Tücken. Die V-22 hatte mit dem von Hubschrauberpiloten gefürchteten „Donut“-Effekt zu kämpfen. Dabei weicht die nach unten gedrückte Luft über die Rotorspitzen nach oben aus und wird sogleich wieder angesogen. Das Ergebnis ist ein abrupter Auftriebsverlust. 2015 zerbrach eine AW609 während eines Testfluges in der Luft, als im Sturzflug Taumelschwingungen auftraten. Mittlerweile sollen diese Schwierigkeiten behoben sein.

Bleibt doch ein Kritikpunkt an den Wandelflugzeugen – ihr hoher Preis. Zwar versprach Bell, der sich Unterstützung beim Rüstungsriesen Lockheed holte, durch modernes Design und Fertigungstechniken Einsparungen gegenüber der V-22, doch ob der Anschaffungspreis einer V-280 nur etwas über dem einer UH-60 liegen wird, dürfte fraglich sein. Doch eines ist gewiß: Wer es schafft, sich durchzusetzen, wird auf lange Zeit keinen Mangel an Aufträgen haben. Alleine anderthalbtausend UH-60 müssen bald ersetzt werden.

Helikopter Sikorsky/Boeing SB-1 „Defiant“:  www.lockheedmartin.com/

Kipprotor-Wandelflugzeug Bell V-280 „Valor“:  www.bellflight.com/