© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 20/19 / 10. Mai 2019

Die Realität sieht anders aus
„Sports Illustrated“: Die berühmte US-Zeitschrift zeigt erstmals ein Model in Hidschab und Burkini
Anabel Schunke

Es ist der 13. Juni 2018 als Nasrin Sotoudeh in ihrem Haus verhaftet wird. Am 11. März 2019 verbreitet sich die Meldung, daß die iranische Anwältin zu 33 Jahren Gefängnis und 148 Peitschenhieben verurteilt worden ist. Bereits im September 2016 war Sotoudeh in einem separaten Fall in Abwesenheit zu fünf Jahren Gefängnis verurteilt worden, so daß sich ihre Haftstrafe nun auf insgesamt 38 Jahre beläuft. Die Vorwürfe, die sich gegen sie richten, lauten unter anderem „Anstiftung zu Korruption und Prostitution“, „offenes sündhaftes Auftreten in der Öffentlichkeit ohne Kopftuch“ und „Störung der öffentlichen Ordnung“. 

Sotoudeh hatte sich stets gegen die Todesstrafe ausgesprochen. Als Anwältin vertrat sie darüber hinaus immer wieder Frauen, die sich gegen den Zwang zur Verschleierung wehrten. Während ihrer Verurteilung soll es zur Anwendung des Artikels 134 des iranischen Strafgesetzbuches gekommen sein. Dieser erlaubt es Richtern, nach eigenem Ermessen eine höhere Strafe als die gesetzlich vorgesehene Höchststrafe zu verhängen, wenn gegen eine Person mehr als drei Anklagen vorliegen. „In Sotoudehs Fall“, heißt es auf der Seite von Amnesty International, „habe der Richter Mohammad Moghiseh für jede der sieben Anklagen die maximale gesetzliche Strafe angewendet sowie zusätzlich weitere vier Jahre Haft verhängt.“

Fälle wie dieser schaffen es in regelmäßigen Abständen immer wieder bis in die westlichen Medien. Für kurze Zeit veranschaulichen sie uns in Freiheit lebenden Frauen, wie dünn der Firnis der Zivilisation auch im 21. Jahrhundert noch ist. Daß gleiche Rechte und Selbstbestimmung in vielen Ländern der Welt keine Selbstverständlichkeit, sondern ein Luxus sind, für den man mitunter einen hohen Preis bezahlt. Ein Preis, den die meisten von uns jedoch nach zwei oder drei Tagen wieder vergessen. Der Iran ist schließlich weit weg, und irgendwie weiß man ja auch, wie es da zugeht. 

Wo das Grauen Alltag ist, verliert es seinen Schrecken. Das gilt auch für jene, die von außen auf dieses Grauen blicken und trotz hunderttausendfacher Einwanderung aus jenen Ländern nicht fürchten, daß die Einstellung in den Köpfen der Männer, die zu uns kommen, nicht auch Einfluß auf diese Gesellschaft nehmen wird. Daß sie es für viele Frauen mit Migrationshintergrund seit Jahrzehnten in Deutschland bereits tut. 

Dazu kommt, daß der Zwang des Politisch-Korrekten den moralischen Kompaß vieler ordentlich durcheinandergebracht hat. Themen, bei denen es zu Zielkonflikten zwischen propagiertem Kulturrelativismus und dem Kampf für die Freiheit und Gleichberechtigung der Frau kommt, werden nur noch ungern angefaßt, weshalb man in den deutschen Redaktionen um so dankbarer scheint, wenn am nächsten Tag bereits eine neue/alte Sau in Form von Donald Trump oder eines AfD-Politikers durch das Dorf getrieben werden kann und das eigene Weltbild wieder geraderückt. „Hijab is choice“ lautet der Wahlspruch des Westens, der so unbedingt bunt und vielfältig sein will, selbst wenn am Ende das Gegenteil dabei herauskommt. Da stören Meldungen über Kerker und Peitschenhiebe für Frauen, die sich gegen die Zwangsverschleierung in ihrem Land einsetzen, nur.

Es ist dieses, in westlichen Gesellschaften seit einigen Jahren zwanghaft propagierte Bild der islamischen Frauenverhüllung, das wie kaum etwas anderes veranschaulicht, von wem sich naive Politiker und Aktivisten ihr Bild über den Islam haben prägen lassen. Wenn eine neuseeländische Premierministerin aus Solidarität mit den Opfern des Anschlages von Christchurch zum Kopftuch greift, dann zeugt das nicht von herausragender Empathie und Kultursensibilität, sondern von einem westlichen Islamverständnis, das in den letzten Jahrzehnten einseitig vom konservativen Kopftuch-Islam geprägt worden ist. Dem Kampf der liberalen Muslime, die sich seit Jahren für einen moderateren Islam einsetzen, erweist man damit auch hierzulande einen Bärendienst. 

Vor allem aber erweist man uns Frauen, egal ob mit oder ohne Migrationshintergrund, keinen Gefallen. Das islamische Kopftuch – egal wie bunt und hübsch man es uns auch verkauft – ist weder als Modeaccessoire zu verharmlosen, noch als Ausdruck der Religionsfreiheit über andere Grundrechte, wie den Gleichheitsgrundsatz in Artikel 3 des Grundgesetzes zu stellen. Es ist und bleibt eine Trennlinie zwischen jenen Frauen, die nach islamischem Verständnis „Ehre“ besitzen, und solchen, die keine haben. Es diskriminiert mich und jede andere Frau, die es nicht trägt als Frau zweiter Klasse. Es postuliert eine vermeintliche Minderwertigkeit der Frau gegenüber dem Mann, der durch den Anblick ihres Haupthaares vom rechten Weg abkommen und sich nicht mehr auf das Gebet konzentrieren kann, und es diskriminiert letztlich jeden Mann auf der Straße, dem per se unterstellt wird, seine Triebe nicht im Griff zu haben. 

Die Realität sieht anders aus als auf dem aktuellen Cover der Zeitschrift Sports Illustrated in deren berühmter Bademoden-Ausgabe, die einmal jährlich erscheint. Weder ist sie so bunt wie der Turban des dort abgelichteten somalisch-amerikanischen Models Halima Aden noch so eng anliegend wie ihr dazugehöriger Burkini. Die Entscheidung, einen Hidschab zu tragen, mag für Frauen wie sie eine Wahl gewesen sein. Für die meisten anderen Frauen in dem Land, aus dem Halima Aden und andere hier im Westen lebende muslimische Frauen stammen, ist er das nicht. Während wir in den USA, Deutschland und anderen westlichen Ländern derartige Magazin-Cover als historische Meilensteine auf dem Weg zur totalen Vielfalt feiern, kämpfen sie tagtäglich unter Einsatz ihres Lebens für ihre Freiheit und Selbstbestimmung. 

Cover wie das der Sports Illustrated sind kein Beitrag für mehr Toleranz und Vielfalt. Im Gegenteil, sie sind der Verrat an der weiblichen Emanzipation schlechthin. An Frauen wie Nasrin Sotoudeh im Iran, die im Gefängnis sitzt für ihren Kampf für ein bißchen mehr Freiheit. An den vielen Frauen in islamischen Ländern, die diesen Kampf mit ihr ausfechten. An jedem muslimischen Mädchen hier in Deutschland, das in der Schule von Mitschülern gefragt wird, weshalb es kein Kopftuch trägt. An uns anderen Frauen, die keines tragen und damit als nicht „rein“ gelten und zu guter Letzt an all den Frauen, die zuvor für jene westliche Freiheit und Emanzipation gekämpft haben, die nun so bereitwillig im Namen der religiösen Toleranz geopfert wird.






Anabel Schunke, Jahrgang 1988, arbeitet als Model und  freie Publizistin.

 www.anabelschunke.com





Sports Illustrated

Zu der US-amerikanischen Wochenzeitschrift Sports Illustrated gehört auch die einmal jährlich erscheinende Sonderausgabe Sports Illustrated Swimsuit Issue. Sie präsentiert Models und Sportlerfrauen in Bikinis an exotischen Orten. Wer es in dieses Bademoden-Magazin schafft, kann seiner Karriere einen kräftigen Schub verpassen. So erging es auch dem deutschen Model Heidi Klum, die 1998 ihrer Karriere mit einem Coverfoto zum Durchbruch verhalf. Die 21jährige Halima Aden ist nun in der Mai-Ausgabe das erste muslimische Model mit Kopftuch und Burkini auf der Titelseite. „Ich habe mich nie repräsentiert gefühlt“, sagte Aden im Interview mit der Zeitschrift, „ich konnte nie durch die Magazine blättern und ein Mädchen sehen, das einen Hidschab trägt.“ Daß sie jetzt dort abgebildet sei, „sendet eine Botschaft an meine Gemeinschaft und die Welt, daß Frauen mit unterschiedlichen Wurzeln, Aussehen, Erziehung zusammenstehen und gefeiert werden können“. (tha)

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