© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 20/19 / 10. Mai 2019

GegenAufklärung
Kolumne
Karlheinz Weißmann

Achte und behandle deine Nahrung so wie deinen Körper, eingedenk, daß dein Körper in Kürze Nahrung sein wird.“ (Benjamin Ward Richardson, englischer Arzt und Reformer, 1828–1896)

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Konrad Liessmann hat in seiner Kolumne für die Neue Zürcher Zeitung das Schreiben eines Studenten erwähnt, der sich über die an dessen Lehrstuhl übliche Wahlfreiheit im Hinblick auf das Gendern der Sprache wunderte. Nun werden viele Bürgerliche Liessmanns Bereitschaft, seinen Studenten die Verwendung der deutschen Sprache in ihrer richtigen Form zu gestatten, als heroischen Akt und tapfere Verteidigung des Guten, Wahren und Schönen betrachten. Aber ist es tatsächlich schon so weit, daß es als Ausweis von Zivilcourage gelten muß, wenn jemand „unterschiedliche Zugangsweisen“ vorschlägt, „die jeder für sich entscheiden und verantworten könne“? Hat man es nicht mit einer allzu bequemen Form der Fastanpassung zu tun? Und steht man nicht zum wiederholten Mal vor den fatalen Folgen allzu großer Nachgiebigkeit, allzu großer Verständigungsbereitschaft im Hinblick auf das, was nur entschieden abgewehrt und rechtzeitig für indiskutabel hätte erklärt werden müssen?

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Nach einer höchstrichterlichen Entscheidung muß den illegalen Einwanderern, die den staatlichen Gesundheitsdienst Frankreichs in Anspruch nehmen, ein Betrag von bis zu 1.500 Euro erstattet werden, falls sie von einer Entscheidung der Region Paris-Ile de France betroffen waren, die zwischen März 2016 und Oktober 2018 solchen Personen die Beihilfen für den öffentlichen Nahverkehr verweigert hatte. Die entsprechende Maßnahme der Behörde wurde als „gesetzwidrig“ und „diskriminierend“ eingestuft.

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Günter Bannas hat in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung (Ausgabe vom 28. April) eine Art Vergleich zwischen den parlamentarischen Anfängen der Grünen und der AfD angestellt. Der fällt – kaum überraschend – zugunsten ersterer und zuungunsten letzterer aus. Man erfährt also, daß die Grünen zwar auch irgendwie fundamentaloppositionell waren, aber eben nicht gegen Minderheiten, sondern gegen „die Mächtigen“ agierten, daß es ihnen um eine bessere Welt der Zukunft ging und nicht um ein „völkisches“ Zurück. Dazu folgende Anmerkungen: Vielleicht könnte Bannas – sein Lebensalter erlaubt es ihm, sonst sicher der Rückgriff auf das Archiv der Frankfurter – noch einmal sein Gedächtnis befragen oder zu folgenden Themen recherchieren: Anteil der Vorbestraften unter den Mandatsträgern der Grünen, Anteil derjenigen, die kurz zuvor Stalinisten gewesen waren, Anteil derjenigen in ihrer Führungsriege, die Gewalt gegen Polizisten rechtfertigten, irgendwie Verständnis für die RAF hatten, Soldaten zu Mördern erklärten, Päderastie akzeptabel fanden, gar nicht genug Fremde ins Land holen konnten, das rasche Verschwinden der Deutschen propagierten, unsere Geschichte in ein „Verbrecheralbum“ verwandelten (Helmut Schmidt dixit) und gegen die Wiedervereinigung auftraten. Aber es steht zu fürchten, daß Bannas kaum zu belehren ist. Denn mit den Leuten von der AfD hat er nichts gemein, während es bei den Grünen nur um „die ungezogenen Kinder des christdemokratischen, liberalen Bürgertums und auch des sozialdemokratischen Milieus“ ging, das heißt um Leute, deren Eltern man kannte, Pubertäre, die nun erwachsen sind und sich ihre Hörner abgestoßen haben. Und während man sie begönnerte und weiter begönnert und sie das Wohlwollen der Etablierten sicher ins Kalkül zogen, taten sie, was zu tun sie immer ganz offen angekündigt hatten: Sie schufen eine „andere Republik“.

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Man sollte für ein Buch wie das eben erschienene „Faschist werden – Eine Anleitung“ (Verlag Klaus Wagenbach) der italienischen Schriftstellerin Michela Murgia dankbar sein. Nicht weil es – wie die Kritik meint – so geeignet ist, den Kryptofaschisten in uns allen zu entlarven und auch nicht wegen des Unterhaltungswertes, den das „Faschistometer“ bereithält, sondern weil so die Banalisierung des Begriffs „Faschismus“ endlich an ihr logisches Ende kommt. Abgesehen von der Bundeszentrale für politische Bildung, Studenten der Gesellschaftswissenschaften und notorischen Kämpfern gegen Rechts (Amateur- oder Profistatus) werden alle anderen die folgenden Sätze einfach als Ausdruck des gesunden Menschenverstandes betrachten: „Wir haben keine moralische Pflicht, alle aufzunehmen. / Ein Land ohne Grenzen ist kein Land. / Wir müssen unsere christlichen Wurzeln verteidigen. / Es wird seine Gründe haben, daß die westliche Kultur diejenige ist, die die Welt geprägt hat. / Es wäre besser, ihnen bei sich zu Hause zu helfen. / Gegen den Geburtenrückgang wird nichts unternommen. / Die Gender-Ideologie macht die Familie kaputt. / Eine Vergewaltigung ist schwerer erträglich, wenn sie von einem Asylsuchenden begangen wird.“


Die nächste „Gegenaufklärung“ des Historikers Karlheinz Weißmann erscheint am 24. Mai in der JF-Ausgabe 22/19.