© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 20/19 / 10. Mai 2019

Inspiriert und kopiert
Meister der Renaissance: Die Berliner Gemäldegalerie zeigt Bilder der verschwägerten Maler Andrea Mantegna und Giovanni Bellini
Fabian Schmidt-Ahmad

Die Entdeckung der Individualität in der Renaissance rückte auch die Künstlerpersönlichkeit aus dem Schatten von Meisterwerkstätten. Was das konkret heißt, wird in einer großangelegten Schau zu den beiden Renaissance-Meistern Andrea Mantegna (1431–1506) und Giovanni Bellini (um 1437–1516) der Berliner Gemäldegalerie in Zusammenarbeit mit der National Gallery London deutlich. Mit rund hundert Werken wird hier erstmals ihrer wechselweisen Beeinflussung nachgegangen.

Mantegna ist hier gewissermaßen der Repräsentant des Neuen. In bescheidene Verhältnisse hineingeboren – sein Vater war Zimmermann in Padua –, wird er allein durch sein überragendes Talent früh entdeckt und gefördert. Am Ende wird das Wunderkind auf eine bewegte Karriere zurückblicken können, die ihn zum wohl bekanntesten Maler seiner Zeit machte. Als „neuen Apollon“ huldigt ihm die Inschrift in seiner Grabkapelle in Mantua. Tatsächlich ist der griechische Gott des Ebenmaßes gezielt gewählt.

Den Eindruck von räumlicher Tiefe vermittelt

 Neue Techniken zur malerischen Erschließung des Raumes nimmt der junge Mantegna begierig auf; seine Arbeiten sind häufig selbstbewußt signiert. Noch im Alter wird er beständig experimentieren: illusionistische Malerei, Kunstdruck, Kupferstich – was Steigerung des Ausdrucks, Vergrößerung der Wirkung verspricht, er probiert sich aus. Nicht von ungefähr wird sein großes Vorbild mit Donatello ein Bildhauer werden. Auch seine Figuren wirken mit ihrer starken Umzeichnung oft wie plastische Körper.

Die perspektivische Verkürzung eines liegenden Körpers, um gekonnt den Eindruck von räumlicher Tiefe zu vermitteln, wir sehen sie beispielsweise auf der Darstellung der Jünger von Christus am Ölberg. Und noch eine Vorliebe Mantegnas wird hier ersichtlich. Die dargestellte Architektur in seinen Bildern ist nicht einfach schmückendes Beiwerk, sondern wird für ihn mit ihrer klaren Linienführung machtvolles Instrument zur Konstruktion des Raumes, dem sich sogar die Gestalt der Heiligen und Christus selbst unterwerfen.

Anders dagegen Bellini. Als Kind einer im mächtigen Venedig hochangesehenen Malerfamilie ist sein Lebensweg vorgegeben. Nicht nur umgibt ihn sein älterer Bruder Gentile als Vorbild, auch ist Bellini zurückhaltender im Ausprobieren von Neuem. Er bewegt sich stärker in der Tradition des Werkstattmalers, der sich weniger individuellen Eingebungen als einem überkommenen Erbe verpflichtet fühlt. Deutlich wird dies beispielsweise bei den Madonnenbildern, die Bellini seltener variiert.

Und doch treten die beiden unterschiedlichen Künstler in ein freundschaftliches Verhältnis, bedingt durch die Heiratspolitik der Bellinis, sich potentielle Konkurrenz zu Verbündeten zu machen, so auch den alle überflügelnden Mantegna. 1453 tritt dieser mit Nicolosia, Bellinis Schwester, vor den Traualtar. Für einige Jahre werden die nun Verschwägerten unmittelbar neben- und miteinander arbeiten und auch nach Mantegnas Weggang lebenslang freundschaftlich verbunden bleiben.

Im Vergleich zu Mantegna ist Bellini mehr Maler im eigentlichen Sinne. Statt penibel ausgeführter Konturzeichnung arbeitet er vor allem aus der Farbe heraus. Folgerichtig ist er eher der Natur zugetan, Architektur rückt buchstäblich in den Hintergrund. Und doch ist Bellini Kind der neuen Zeit, will in den Raum gehen. Es gelingt ihm durch gekonnte Kombination der Farbwirkung im Bildaufbau. Mehr noch, hat Mantegna die Neigung zum Figürlichen, so schafft es Bellini, durch Lichthöhungen menschliche Leidenschaft wiederzugeben.

Wie gelehrig Mantegna die Anregung des Schwagers verarbeitete, zeigt das im Werk beider prominent vertretene Motiv der Höllenfahrt Christi. Die Dramatik des Geschehens wird durch den Kontrast von Dunkelheit und halb beleuchteten Gestalten in einer Weise in Szene gesetzt, die sogar über die Renaissance hinausdeutet. Erst kürzlich wurde ein hier ebenfalls ausgestelltes Auferstehungsbild als dazugehörig identifiziert.

Wirkt Mantegna häufig nüchtern, so verblüfft die innige Darstellung einer Maria mit Kind um 1460, die wenig Ähnlichkeit mit anderen gezeigten Madonnen hat. Des Rätsels Lösung findet sich zwei Räume beziehungsweise sechs Lebensjahre zurück. Die Darbringung Christi im Tempel hat eine Besonderheit. Nicht nur porträtiert sich Mantegna nach gängiger Lehrmeinung im Bild rechts, sondern – wahrscheinlich zum ersten Mal in der Renaissance – auch gleich seine Ehefrau Nicolosia auf der gegenüberliegenden Seite.

Ein kurzer Blick zeigt – es handelt sich um die gleiche Person. Die vermeintliche Maria ist nichts anderes als ein Porträt Nicolosias. Der geradezu physisch wahrnehmbare Schmerz im Bild wird nun erklärlich. Behutsam hält die Mutter das Köpfchen des scheinbar schlafenden Kindes. Wird es im Diesseits noch einmal die Augen öffnen? Von hier ausgehend erschließt sich vielleicht auch ein Geheimnis in Bellinis Darstellung. Denn Bellini hat das Bild des Freundes sorgfältig kopiert, was den unmittelbaren Vergleich der Techniken erlaubt.

Doch in Bellinis Version sind rechts zwei Männer zu sehen, einer blickt den Betrachter an, der andere schaut zur gegenüberliegenden Seite. Dort geschieht in der Tat Seltsames, denn hier blickt eine junge Frau aus dem Bild, neben ihr sie selbst gealtert zum Christuskind. Das Bild wird auf 1472 geschätzt. Etwa in dieser Zeit wurde Mantegna Witwer. Kann es sein, daß sich hier Bellini mit dem verehrten Schwager malte? Und daß er auf der gegenüberliegenden Seite die geliebte Schwester im Doppelporträt zeigt, als Braut und in Christi verewigt?

Die Ausstellung „ Mantegna und Bellini. Meister der Renaissance“ ist bis zum 30. Juni in der Berliner Gemäldegalerie, Matthäikirchplatz, täglich außer montags von 10 bis 18 Uhr, Do. bis 20 Uhr, zu sehen. Telefon: 030 / 266 42 42 42

 www.smb.museum