© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 20/19 / 10. Mai 2019

Geltung ohne Leistung
Dahintreiben in der eigenen Unvergleichbarkeit: Das Filmprojekt „CaRabA“ handelt von einer schulfreien Gesellschaft
Sebastian Hennig

Das filmische Projekt „CaRabA“ handelt von einem Leben ohne Schule. Produzent Joshua Conens ist neben dem Verein „Zwischenzeit“, der den Film herstellt und verbreitet, noch mit weiteren Reformprojekten beschäftigt, die so selbstredende Namen tragen wie „Beruf Mensch“ und „Handlungsspielraum“. Die Produktionskosten wurden überwiegend per Schwarmfinanzierung eingeworben. Angeregt wurde der Film von dem Antipädagogen Bertrand Stern. Das Denken des freischaffenden Philosophen kreist um die Würde des Subjekts. Der Waldorflehrer Andreas Laudert schrieb das Drehbuch, und Regie führte Katharina Mihm. Sie möchte, daß dieses Werk „in poetisch-skurrilen, aber auch lakonisch-witzigen Filmbildern zu einem Leben in Freiheit und Selbstbestimmtheit ermutigt!“

In Episoden wird der Weg von fünf unerzogenen Kindern und Jugendlichen dargestellt. Angenommen wird dabei eine stattgefundene Abschaffung der Schulpflicht in Deutschland. Das Bildungsministerium wurde umgewandelt in ein Bundesministerium für freie Bildung mit dem Vogel der Athene als Zeichen. Der Schriftzug prangt im Verwaltungsgebäude der Freiheit auf dem gewohnten öden Sichtbeton. „Keimzelle“ lautet der Name einer Art Jobcenter für Kinder. Erwachsene Assistenten begleiten sie auf ihrer atemberaubenden Laufbahn.

Das wirkt zum Teil etwas irrsinnig und erinnert an die fahle Welt in „Finsterworld“. Was aber dort als übermütige Dystopie vorgeführt wird, entpuppt sich hier als bedrohliche Vision und ist in seiner Konsequenz keinesfalls ironisch gemeint. Regisseurin Mihm schwärmt von „Stärke und Fragilität der Figuren, die sich mit großer, fast wehmütiger Heiterkeit durch ein geträumtes Deutschland bewegen, welches durch den Film zum Greifen nah wird“.

Einzelne Szenen dieser gespenstischen Scharade haben durchaus ihren Witz. Der gescheiterte Schauspieler (Oliver Sauer) gesteht seiner Tochter Janne (Emma Brüggler), daß ihre Mutter gar nicht ihre wirkliche Mutter ist. Zerknirscht bekennt er nun, ein schlechter Vater zu sein. „Du bist bloß ein schlechter Schauspieler“, wirft Janne ihm dafür an den Kopf. Sie wird dann praktisch adoptiert von der türkischen Familie des Jungen Nuri, der zumeist seinen Vater beim Taxifahren begleitet. Es ist die einzige intakte Familie im Film.

Doch Nuri hat keine Freunde und kennt nichts außer Straßennamen. Seinen arbeitsamen Vater besorgt das zunächst ein wenig, dann besinnt er sich aber und meint, der Sohn könne es wohl noch zum Außenminister bringen. Ein Schelm, wer Übles dabei denkt. Seine Mama arbeitet derweil eifrig für eine Fernsehproduktion über Familientrümmer mit dem Titel „Wahlverwandtschaften 3.0“. Janne bringt sich ein und fragt Leute auf der Straße aus. Ihrem Selbstbewußtsein schmeichelt die Vorstellung, sie tauge zur Soziologin.

Blinde geben Einäugigen die Richtung vor

Lovis (Carl Hiller) kann nicht richtig lesen und schreiben, also philosophiert er. Die Eisverkäuferin Soljanka möchte ihn zu ihrem Ritter machen. Doch Lovis geht bei einem Uhrmacher in die Lehre. Die abgewickelten Lehrer treffen sich im Stuhlkreis und beeilen sich, nur Gutes in ihrer Situation zu entdecken. Von den Erwachsenen kommt immer Ermutigung. Freilich gehört seit je zu guter Pädagogik, daß man den Eleven ihre Dummheit nicht krumm nimmt. Doch diese Erziehungslosigkeit erträgt geduldig auch das steilste Geltungsbedürfnis für absolut keine Leistung.

Max darf im Museum eine Führung übernehmen. Er bringt den Besuchern vor Dürers Selbstbildnis im Pelzmantel nahe: „Dürer sagt: Hey, was geht?“ Seine Zuhörerinnen lächeln verständnisvoll, eine verdreht die Augen. Auch in diesem Detail ist der Film ehrlich. Sonst kritzelt Max hilflos alles Mögliche ab, von Gemäldereproduktionen bis zu sich drehenden Wäschetrommeln. Von Zufallsbegegnungen fordert er hastig Bestätigung: „Gut, was?“ Daß diese durchaus realistisch wiedergegebene nervöse Extrovertiertheit, einhergehend mit einer schläfrigen Gleichgültigkeit gegenüber allem, das nicht Ich ist, keine gute Aussicht für die unterrichtsfreie Zukunft darstellt, will der Film nicht einsehen. Die Blinden geben hier den Einäugigen die Richtung vor.

Der Film fordert, „aus einer eigenen, inneren Sinnerfahrung heraus sich gestaltend in die Welt zu stellen“. Doch was einem nicht beigebracht wird, das lehrt einen schließlich das Leben, und oft geschieht es dann schmerzhafter. Vielleicht bleibt tatsächlich die Würde des Subjekts gewahrt im Dahintreiben in der eigenen Unvergleichbarkeit. Jedoch die Demütigungen, die dem Einzelnen erspart bleiben, werden dann der menschlichen Art durch diese prachtvolle Dummheit angetan. 

Kinostart am 9. Mai 2019 

 www.caraba.de