© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 20/19 / 10. Mai 2019

Knapp daneben
Hamburger Debattenkultur
Karl Heinzen

Die Zeitschrift Feinschmecker hat Stefan Barnhusen gerade noch zum „Koch des Monats“ gekürt. Nun, nur wenige Wochen später, ist der junge Küchenchef des Hamburger „Jellyfish“ gezwungen, seine Karriere an anderer Wirkungsstätte fortzusetzen. Dieses Schicksal teilt er mit allen übrigen Mitarbeitern. Das Restaurant stellt zum 17. Mai den Betrieb ein. Bislang durfte man das „Jellyfish“ für einen Selbstläufer halten. 115 Euro für ein Fünf-Gänge-Menü sind zwar kein Pappenstiel. In Hamburg gibt es an gutsituierten Einwohnern und Touristen aber keinen Mangel. Die Gäste lockte allein schon der auch in diesem Jahr erneut bestätigte Michelin-Stern. Der Grund für die Geschäftsaufgabe ist aber auch gar nicht das Scheitern einer Geschäftsidee, sondern ein Phänomen, das bislang in keinem Businessplan berücksichtigt werden mußte. In den zurückliegenden Monaten wurde das „Jellyfish“ gleich mehrfach das Ziel von Vandalismusattacken. Mal wurden Scheiben eingeschmissen, mal Rechner und Bargeld gestohlen, mal vorbereitete Speisen und Saucen aus den Kühltruhen gerissen. Über den materiellen Schaden hinaus waren stets auch Einschränkungen des Gastronomiebetriebes die Folge. 

Dürfen wir angesichts der Rettung der Welt Zeit mit Sterneessen vergeuden?

Ob die Polizei Täter ermitteln kann oder nicht, kann Hauke Neubecker egal sein. Die Rentabilität des „Jellyfish“, so seine Klage, ist unter diesen Bedingungen nicht mehr gegeben. Allzuviel Larmoyanz sollte man ihm aber nicht gestatten. Wer ein derartig provozierendes Restaurant ausgerechnet am Rande des Hamburger Schanzenviertels betreibt, muß damit rechnen, in gesellschaftliche Debatten zu den dort geltenden Spielregeln einbezogen zu werden. Ist es legitim, wilde Fische und Meeresfrüchte zu fangen, damit Snobs Gaumenfreuden erleben? Wirft, wer so viel Geld im Restaurant ausgeben kann, nicht die Frage auf, ob er zu jenen gehört, die man enteignen sollte? Dürfen wir heute, da es um die Rettung der Welt geht, unsere Zeit noch mit Genußessen vergeuden? Diesen Fragen hätte sich Hauke Neubecker schon vor der Eröffnung des Restaurants stellen müssen. Immerhin hat er sie nun durch dessen Schließung beantwortet.