© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 21/19 / 17. Mai 2019

„Verwaltungshandeln muß angreifbar sein“
Ausreisepflichtige: Eine SPD-Bürgermeisterin in Nordrhein-Westfalen klagt gegen die verpflichtende Aufnahme von abgelehnten Asylbewerbern
Karsten Mark

Nordrhein-Westfalens Integrationsminister Joachim Stamp (FDP) brüstet sich gern mit der bundesweiten Spitzenreiterposition seines Landes bei den Abschiebungen von Ausländern. Die „Rückführungen“ seien „entgegen dem rückläufigen Bundestrend“ auch 2018 um fünf Prozent gestiegen, ließ er bereits im Februar den Landtagsausschuß für Heimat und Kommunales wissen. 

In absoluter Zahl ging es dabei um genau 6.603 erfolgreich Abgeschobene. Ihnen gegenüber stehen indes knapp 56.000 Geduldete, überwiegend aus sicheren Herkunftsländern des Balkan, die sich auch mittel- bis langfristig nur schwer abschieben lassen, etwa weil sie ihre Herkunft verschleiern, Personaldokumente verstecken oder vernichtet haben. Aufenthaltserlaubnisse wurden in solchen Fällen bislang erst dann erteilt, wenn sich die Geduldeten acht Jahre lang ununterbrochen in Deutschland aufgehalten haben, über Sprachkenntnisse und Grundwissen der Rechts- und Gesellschaftsordnung verfügen, sich zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung bekennen und die Sicherung des Lebensunterhalts zumindest zu erwarten ist – jedenfalls theoretisch.

Damit solche geduldeten Ausländer in Zukunft schneller aus der Statistik verschwinden, hat Stamp als Minister und Stellvertreter von Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) im März mit einem Erlaß an alle NRW-Ausländerämter sowohl die Fristen als auch die Anforderungen für „gut Integrierte“ massiv herabgesetzt. Nun soll für eine Aufenthaltserlaubnis schon ein einziges Jahr reichen, in dem die Geduldeten gute berufliche „Fertigkeiten“ oder auch nur „besondere Verantwortung in sozialen Einrichtungen“ gezeigt haben. Heftigen Gegenwind bekam Stamp dafür vom Vorsitzenden des Verfassungsausschusses des Landkreistags NRW, Sven-Georg Adenauer (CDU): „Es stellt sich die Frage, ob Flüchtlinge tatsächlich als gut integriert bezeichnet werden können, wenn sie jahrelang bewußt über ihre Identität getäuscht haben“, sagte der Landrat Anfang April in einem Radiointerview mit dem WDR.

Kommunen müssen für die  Abschiebung aufkommen

In seinem eigenen Landkreis Gütersloh in Ostwestfalen fährt Adenauer, ein Enkel des ehemaligen Bundeskanzlers, einen vergleichsweise rigiden Abschiebekurs. „Ich setze Recht und Gesetz durch. Ich würde das konsequent und nicht hart nennen“, sagte der 57jährige dazu der Welt am Sonntag. Eine SPD-Bürgermeisterin aus einem 11.000-Einwohner-Städtchen namens Werther im äußersten Nordosten dieses Kreises schließt sich nun der Linie ihres CDU-Landrats an und hat sogar gegen das Land NRW geklagt. Marion Weike, selber Volljuristin, geht vor dem Verwaltungsgericht gegen die Praxis des Landes vor, den Städten auch Asylbewerber zuzuweisen, die längst hätten abgeschoben werden müssen. Für solche Fälle müssen die Städte nämlich ausschließlich selber aufkommen. Sogar die Kosten der Abschiebung bleiben an ihnen hängen. 

Vor dem Verwaltungsgericht Minden ist die Stadt Werther nun zunächst gescheitert. „Wenn die Kommunen das Recht bekämen, gegen jede einzelne Zuweisung des Landes gerichtlich vorzugehen, würde erheblich Sand ins Getriebe gestreut“, argumentierte der Richter. Ein effektives Abschiebesystem würde auf diese Weise nicht erreicht. Am Ende würde der Konflikt zwischen dem Land und den Kommunen auf dem Rücken der Asylbewerber ausgetragen. Das könne es nicht sein, meinte das Gericht. Ein Leitender Regierungsdirektor der zuständigen Bezirksregierung sagte im Verfahren, das Land NRW sei in seinen Möglichkeiten der schnelleren Abschiebung limitiert und werde es wohl noch eine Weile bleiben. 

Bürgermeisterin Weike überzeugt das Urteil nicht. Wie das Westfalenblatt berichtet, bleibt sie bei ihrer Rechtsauffassung, daß die Zuweisung von Flüchtlingen durch das Land an Kommunen einen eigenen Verwaltungsakt darstellt, gegen den eine Stadt sich gegebenenfalls auch wehren können müsse. Verwaltungshandeln müsse angreifbar sein. Weike kündigte an, gegen das noch nicht rechtskräftige Urteil in zwei Einzelfällen vor dem Oberverwaltungsgericht Berufung einzulegen.