© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 21/19 / 17. Mai 2019

Niemals allein
Europawahl I: Asylrecht, Klimaschutz und die Angst vor Populisten
Jörg Kürschner

In der Endphase des Europawahlkampfs rastete die stets freundlich-diszipliniert auftretende SPD-Spitzenkandidatin Katarina Barley plötzlich aus, und sogleich lag die Deutsch-Britin voll daneben. „Der macht alles kaputt. Und das ist Populismus. Alles kaputtmachen und sich dann verpissen. Entschuldigung“. Gemeint war Nigel Farage, dessen Brexit-Partei nach jüngsten Umfragen einen sensationellen Erfolg einfahren könnte. Danach käme Farage mit 34 Prozent auf mehr Stimmen als die beiden Volksparteien Konservative und Labour zusammen, würde sich also nicht verp... 

Das Umfrage-Beben in England wurde von den Wahlkämpfern in Deutschland genau registriert. Die FDP rief gemeinsam mit den „Liberal Democrats“ eine Internetseite ins Leben, um Deutsche und Briten durch E-Mail-Brieffreundschaften zu vernetzen. „Wir wollen, daß sich die Menschen – gerade die junge Generation – weiter begegnen können“, sagte Spitzenkandidatin Nicola Beer.

Im FDP-Wahlprogramm wird ein „einheitliches Asyl-, Flüchtlings- und Einwanderungsrecht“ gefordert. Ein „kriterienbasiertes Punktesystem“ soll über die Einwanderung von Facharbeitern entscheiden. Zudem setzt sich die FDP für eine „konsequentere und schnellere Rückführung“ abgelehnter Asylbewerber ein. Das Punktesystem sei von der FDP abgekupfert worden, hielt AfD-Spitzenkandidat Jörg Meuthen dagegen. Menschen in Seenot sollten gerettet, dann aber in die Länder zurückgebracht werden, in denen sie in See gestochen sind. „Ob das Libyen ist, ob das Tunesien ist, ob das Marokko ist, wo auch immer“. Dafür sei etwa eine Aufstockung der EU-Grenzschutzagentur Frontex notwendig. In Bedrängnis hat die AfD-Führung ein Beschluß des Parteitags in Riesa gebracht. Als letztes Mittel soll Deutschland die Europäische Union verlassen („Dexit“), wenn sich diese in absehbarer Zeit nicht radikal verändern sollte. Dazu stellte Partei- und Fraktionschef Alexander Gauland gerade klar, daß es der AfD um eine Reform der EU gehe. „Wenn wir die EU verlassen, dann niemals allein“. Sonderwege hätten Deutschland immer geschadet. Mit diesem Hinweis auf die Geschichte hatte sich der Parteisenior schon in Riesa gegen Maximalforderungen aus den eignen Reihen gewandt. Der Ausstieg aus der europäischen Gemeinschaftswährung Euro bleibe aber das „Gebot der Stunde“, betonte Co-Fraktionschefin Alice Weidel.

In den Umfragen rutscht die SPD Richtung Keller

Die Sorge, EU-kritische Parteien könnten das Europäische Parlament blockieren, hatte sich bei den Unionsparteien noch durch die Ankündigung des ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán verstärkt, dem Spitzenkandidaten der christlich-demokratischen Parteienfamilie EVP für das Amt des Kommissionspräsidenten, Manfred Weber (CSU), die Unterstützung zu entziehen. Dessen Parteichef Markus Söder sah sich sogar veranlaßt, vor linken Bündnissen in Europa zu warnen. „Jeder redet über Orbán, aber keiner redet darüber, was linke und linksradikale Mehrheiten bedeuten könnten, wenn es um die grundlegende Ausrichtung des Kontinents geht“. Der Trend bei den Sozialdemokraten gehe dahin, sich neue Mehrheiten zu suchen. Dies könne auch ein Vorbote für Deutschland sein.

Söder hatte damit die von Juso-Chef Kevin Kühnert entfachte Debatte gemeint, große Unternehmen wie etwa BMW „auf demokratischem Weg“ zu verstaatlichen. Damit hatte er der SPD zumindest zeitweise den Wahlkampf verhagelt, denn viele Betriebsräte, etwa von Daimler, liefen Sturm gegen den Sozialisten Kühnert. Die Umfrageergebnisse der SPD fielen noch weiter in den Keller. In seiner Verzweiflung hat Ex-SPD-Chef Martin Schulz den Verein „Tu was für Europa“ gegründet, will die Wähler unter anderem mit Koch- und Chorwettbewerben für Europa begeistern. Pikanterweise hat die CDU-Politikerin Monika Grütters, Kultur-Staatsministerin, die Schirmherrschaft über die Initiative übernommen. Parteichefin Andrea Nahles hat dem 2017 gescheiterten Kanzlerkandidaten sogar einen Fahrer mit Auto für die rund hundert Auftritte bewilligt. Hat die SPD zwei Spitzenkandidaten für Europa? wird bereits gefragt.

Die internen Querelen haben bei Union und SPD das Wahlprogramm in den Hintergrund treten lassen. CDU und CSU halten an Aufnahmezentren in Afrika und Transitzentren in Europa fest, aus denen bei fehlendem Asylgrund direkt abgeschoben werden soll. Das Asylrecht soll EU-weit vereinheitlicht werden, was bisher gescheitert ist. Die Unionsparteien „erwarten“, daß sich die EU-Staaten hier solidarisch zeigen. Frontex soll um zusätzliche 10.000 Grenzschützer aufgestockt werden. Darüber hinaus will die SPD das Programm zur Neuansiedlung von Flüchtlingen über die bisher vereinbarten 50.000 Menschen hinaus ausbauen. Die Möglichkeiten einer legalen Zuwanderung nach Europa sollen verbessert werden. In den letzten Tagen wirbt Barley verstärkt für einen europäischen Mindestlohn.

Ein Kernthema der SPD ist wie für die Grünen die Klimapolitik. Gestritten haben die Umfrage-Könige im Wahlkampf nicht. Ihre Botschaften sind eine schnellere Treibhausgassenkung, ein schnellerer Ausstieg aus Kohle- und Atomstrom und ein schnellerer Ausbau erneuerbarer Energieträger. In der Asylpolitik liegen SPD und Grüne nahe beieinander. Die Linke geht noch weiter. Das Asylrecht soll auch auf Armuts-, Umwelt- und Klimaflüchtlinge ausgeweitet werden.