© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 21/19 / 17. Mai 2019

Gewinner des Geschachers
Großbritannien: Nach seinem Rücktritt befindet sich Brexit-Wortführer Farage auf der Überholspur
Josef Hämmerling

Bei den Europawahlen am 23. Mai droht den Konservativen und der Arbeiterpartei in Großbritannien im wahrsten Sinne des Wortes eine Klatsche. Großer Gewinner ist dagegen die Brexit-Partei des früheren Ukip-Parteivorsitzenden Nigel Farage. Die erst im Januar gegründete Partei kommt aus dem Stand auf 34 Prozent, wie aus einer am Sonntag veröffentlichten Wahlumfrage des Observers hervorgeht. Damit erreicht sie mehr Stimmen als Labour mit 21 Prozent und die Torys mit elf Prozent zusammen. 

Die Konservativen wurden sogar von den europafreundlichen Liberaldemokraten überholt, die fünf Prozentpunkte hinzugewannen und nun bei zwölf Prozent liegen. Weit abgeschlagen hinten liegen die Grünen mit acht Prozent und die Ukip sowie die Schottische Nationalpartei mit jeweils vier Prozent. Schon bei den Kommunalwahlen am 3. Mai hatte es massive Verluste für die Torys und Labour gegeben. 

Die Partei von Premierministerin Theresa May verlor Hunderte Sitze in den Kommunalparlamenten und damit die Mehrheit in vielen Bezirksverwaltungen. Verluste gab es auch für Labour, während Grüne und vor allem die Liberaldemokraten auch hier die Gewinner waren.

Dies ist das Ergebnis des „unwürdigen Geschachers seitens der Premierministerin“, freute sich Farage. In einem BBC-Interview warf er May vor, die Menschen „vorsätzlich“ über ihren ausgehandelten EU-Vertrag getäuscht zu haben. Zudem zeigte sich Farage zuversichtlich, daß die Kampagne zum Verlassen der EU ein zweites Referendum mit größerem Abstand gewinnen würde. 

Mit dem Slogan „Change Politics for Good“ („Ändert die Politik zum Guten“) hatte Farage im Januar die Brexit Party gegründet. „Vor vielen Jahren sagte ich, daß ich ein Erdbeben in der britischen Politik wollte. Jetzt kämpfe ich mit ihrer Unterstützung für eine demokratische Revolution“, rief Farage seinen Anhängern zu. Es sei nicht akzeptabel, daß Großbritannien rund drei Jahre nach dem Referendum noch immer in der EU sei und die Regierung unter Theresa May es nicht hinbekommen habe, den Willen des Volkes umzusetzen.

Inzwischen sind sowohl mehrere Abgeordnete des Europa-Parlaments als auch führende Mitglieder der Torys in die Brexit-Partei eingetreten. So etwa Annunziata Rees-Moog, die Schwester des prominenten Tory-Politikers Jacob Rees-Mogg. Oder auch Bill Etheridge sowie die ehemaligen Ukip-Vorsitzenden Paul Nutall und Diane James. Höhepunkt der täglich stattfindenden, übers ganze Land verteilten Parteiveranstaltungen wird die am 21. Mai stattfindende „Rallye für Demokratie“ in London, zu der über 100.000 Teilnehmer erwartet werden.

 Sollte es zu einem Erdrutschsieg der Brexit-Partei bei der EU-Wahl kommen, wird der Druck auf Theresa May, von ihrem Amt zurückzutreten, noch stärker werden. So sagte der Vorsitzende des einflußreichen 1922-Komitees der Torys, Graham Brady, der BBC, er erwarte bereits in der kommenden Woche einen konkreten Termin für ihren Rücktritt.