© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 21/19 / 17. Mai 2019

Brüssel sitzt zwischen den Stühlen
Atomabkommen mit Iran: Im Streit zwischen Washington und Teheran macht die EU kein gutes Bild / Ringen um diplomatische Lösungen
Marc Zoellner

Abdollah Ganji konnte seine Begeisterung für die Gedankenspiele der iranischen Regierung kaum mehr verhehlen: „Die Europäer zahlen jedes Jahr sechs Milliarden US-Dollar an die Türkei, um den Zustrom syrischer Flüchtlinge nach Europa einzudämmen“, kommentierte der einflußreiche Chefredakteur der ultrakonservativen Teheraner Tageszeitung Javan. „Der Exodus dieser Migranten ist jetzt schon ein Alptraum für Europa. Wenn [die EU] nicht einwilligt, auch mit uns die Kosten zu teilen, sollte der Iran ebenso seinen Flüchtlingen einen Weg zur Auswanderung [nach Europa] öffnen.“

Brüssel in der Auseinandersetzung um das iranische Atomprogramm unter Druck zu setzen, scheint derzeit das eingeschworene Ziel der iranischen Führung. Und dafür greift Teheran gern auch einmal tief in die Trickkiste der Erpressung: Immerhin leben im Iran derzeit zwischen anderthalb und drei Millionen afghanische Flüchtlinge. 

Irans Kriegskasse war schon einmal voller

Die EU sitzt derzeit zwischen den Stühlen. Einerseits ist Brüssel gewillt, weiter an dem im Juli 2015 vereinbarten Wiener Abkommen festzuhalten, das eine Lockerung der Sanktionen gegen den Iran im Gegenzug zu dessen Einstellung der Anreicherung von waffenfähigem Kernmaterial vorsieht. Andererseits jedoch möchte die Gemeinschaft ihre bereits fragilen Bündnisbeziehungen zur US-Regierung unter Donald Trump nicht noch weiter belasten. Und die Vereinigten Staaten ziehen sämtliche diplomatischen Register, um zumindest einen Teil der EU zur Unterstützung des neuen US-Sanktionskatalogs zu bewegen. Ein geplantes Treffen in Moskau verkürzte US-Außenminister Mike Pompeo um einen Tag, um am Montag kurzfristig der Sitzung seiner europäischen Amtskollegen in Brüssel beizuwohnen. 

Teheran wiederum macht nicht nur rhetorisch mobil: Bereits vergangene Woche hatte Präsident Hassan Rohani angekündigt, die im Wiener Abkommen vertraglich vereinbarte Höchstmenge des Besitzes von Uran und Schwerem Wasser künftig ignorieren zu wollen. Seit dem Wochenende, berichtet der US-Nachrichtensender CNN, bereitet sich Teheran überdies auf eine militärische Eskalation des Atomstreits mit den Vereinigten Staaten vor. Als Antwort auf die Verlegung des US-Flugzeugträgers „USS Abraham Lincoln“ in den Persischen Golf begannen die Iranischen Revolutionsgarden mit der Stationierung kleinerer Kriegsschiffe in dem besonders für den internationalen Ölhandel strategisch wichtigen Binnenmeer.

Ob die Elitetruppen der schiitischen Theokratie allerdings für die Angriffe auf vier Öltanker verantwortlich sind, ist immer noch offen. Der Iran bestreitet seine Verwicklung und spricht von einem „Akt der Aggression seitens eines Drittstaates“. Am Wochenende waren die Schiffe, die unter saudischer sowie norwegischer Flagge fahren, unweit der Straße von Hormus mutmaßlich sabotiert worden und liegen seitdem seeuntüchtig in den Hoheitsgewässern der Vereinigten Arabischen Emirate vor Anker. Der norwegische Betreiber erklärte, sein Schiff sei „von einem unbekannten Objekt getroffen“ worden. 

„Der Iran oder seine Stellvertreter könnten kommerzielle Fahrzeuge, einschließlich Öltanker, sowie US-Militärschiffe ins Visier nehmen“, hatte die United States Maritime Administration (MARAD) am Freitag noch vor Anschlägen gewarnt. Auslöser war die Drohung des iranischen Hardliners  Ayatollah Yousef Tabatabai-Nejad, die US-amerikanische „Milliarden-Dollar-Flotte“ könne „mit einer einzigen Rakete zerstört werden“.

Eine militärische Eskalation des Konflikts scheint indes von beiden Seiten  unerwünscht: Aufgrund der seit einem Jahr bestehenden US-Sanktionen hat sich die iranische Kriegskasse rapide erschöpft. Allein im vergangenen Jahr sank das Wirtschaftswachstum des Iran um vier Prozent; für 2019 rechnet der Internationale Währungsfonds (IWF) mit ganzen sechs Prozent. Die Ölexporte, wichtigste Devisenquelle des Gottesstaates, gingen im Vergleich zum Vorjahr von 2,5 Millionen auf unter eine Million Barrel pro Tag zurück. 

Noch am Montag traf sich Pekings Auslandsvertreter Wang Yi mit dem russischen Außenminister Sergej Lawrow, um über eine diplomatische Lösung der Krise zu beratschlagen. US-Präsident Trump wiederum, der sich um die Schweiz als neutralen Vermittler im Konflikt bemüht, übermittelte dortigen Diplomaten seine private Nummer zur Weitergabe an den Iran. „Ich würde gern sehen, daß sie mich anrufen“, erklärte das US-Staatsoberhaupt süffisant während einer Pressekonferenz.