© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 21/19 / 17. Mai 2019

Kevins Illusionen
Wohnungsnot: Bundestagsexperten dämpfen linke Forderungen nach Enteignung oder Vergesellschaftung
Jörg Fischer

Die Wohnkosten in Deutschland steigen unaufhörlich: Die Neuvertragsmieten kletterten seit 2007 bundesweit um 36,8 Prozent. Eigentumswohnungen wurden laut Zentralem Immobilienausschuß um 77,1 Prozent sowie Ein- und Zweifamilienhäuser um 62,3 Prozent teurer. Die Bruttolöhne erhöhten sich seither um 29 Prozent. In Berlin stiegen Neumieten allein 2018 um 9,2 Prozent. Die Wohnungspreise klettern um 15,2 Prozent. Die Löhne stiegen lediglich um 2,9 Prozent.

Dieser „Mietenwahnsinn“ (Bild) ist erklärbar: Die Einwohnerzahl Berlins stieg innerhalb von elf Jahren durch Zuzüge aus dem In- und Ausland um 9,7 Prozent auf 3,75 Millionen – Tendenz steigend. Angesichts der Niedrigzinspolitik und hoher Aktienpreise haben sich Investoren auf Immobilien in Ballungsräumen gestürzt, um so Traumrenditen zu erzielen. Wohnungssuchende haben mangels Leerstand keine Alternativen mehr. Neubau dauert und ist durch Energiesparauflagen sowie wegen der Baulandpreise teuer. Und dank der rot-roten Privatisierungswelle ab 2002 sind statt etwa 500.000 nur noch 272.000 der 1,8 Millionen Berliner Wohnungen mietenregulierend in öffentlicher Hand.

Letzteres wollen Volksinitiativen wie „Deutsche Wohnen & Co. enteignen“ wieder ändern. Doch das ist schwieriger, als sich das Jungsozialistenchef Kevin Kühnert vorstellt. Eine Enteignung von „Miethaien“ (Berliner Kurier) ist laut Artikel 14 des Grundgesetzes „nur zum Wohle der Allgemeinheit zulässig“. Enteignungsmöglichkeiten fänden sich bislang im Baugesetzbuch sowie im Bundesfernstraßen-, im Energiewirtschafts- und im Atomgesetz, heißt in einer Analyse der Wissenschaftlichen Dienste des Bundestags. Mit der Finanzkrise 2009 kam die Enteignung zur „Rettungsübernahme von Finanzinstituten“ hinzu.

Die Berliner Landesverfassung garantiert zwar das Recht auf angemessenen Wohnraum, doch die Entschädigung der Enteigneten orientiere sich „üblicherweise am Verkehrswert, kann aber im Einzelfall davon abweichen“. Das dürfte unbezahlbar werden: Fast ein Viertel der Deutsche Wohnen SE (Börsenwert insgesamt 15 Milliarden Euro) gehören drei US-Investoren: BlackRock, der Massachusetts Financial Services Company und der State Street Corporation. Und die dürften zusätzlich entgangene zukünftige Dividenden und Aktienkurssteigerungen einfordern.

Eine Überführung in „Gemeineigentum“ nach Artikel 15 könnte schon an der deutschen Politik scheitern: In der 70jährigen Grundgesetzpraxis „wurde die Ermächtigung zur Vergesellschaftung bisher in keinem Fall angewendet“, schreiben die Bundestagsjuristen. Prinzipiell sei dies aber aussichtsreicher, denn hierbei könne „das Privateigentum auch erhalten bleiben, aber in bestimmtem Umfang dem Mitbeteiligungs- oder Einflußrecht gesellschaftlicher Kollektivorgane unterworfen sein“. Der „zu vergesellschaftende Gegenstand“ müsse dabei immer eine gewisse Größe aufweisen. Diese „Vergesellschaftungsreife“ hätte neben der Deutsche Wohnen SE auch BMW (Börsenwert: 44,8 Milliarden Euro). Dennoch muß der Autokonzern kaum vor Kevin Kühnert zittern: Die fällige Entschädigung dürfte „mangels ausreichender staatlicher Mittel praktisch ausgeschlossen“ sein. Und: Unter den 53,2 Prozent BMW-Aktienstreubesitz lauern 35,9 Prozent Investoren mit US-Steuernummer.

Ausarbeitung zum Thema „Die Enteignung nach Art. 14 Abs. 3 GG und die Vergesellschaftung nach Art. 15 GG“:  www.bundestag.de