© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 21/19 / 17. Mai 2019

Erfolgreiches Intermezzo
António de Oliveira Salazars korporatistisches Staatsmodell
Wolfgang Bendel

Gibt es Gegenentwürfe zur parlamentarischen und repräsentativen Demokratie? Der  Ständestaat oder Korporativismus gehört dazu. Ein hervorragender Vertreter dieser Denkrichtung war Salazar, der über vier Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts der entscheidende Politiker Portugals war und am 28. April seinen 130. Geburtstag gefeiert hätte.

António de Oliveira Salazar, Professor für Volkswirtschaft an der renommierten Universität von Coimbra, beherrschte von 1930 bis zu seinem Tod im Jahre 1970 sowohl in seiner Eigenschaft als Ministerpräsident und zeitweise auch als Staatspräsident die Geschicke des iberischen Staates. Der Machtergreifung Salazars gingen Jahre der politischen Instabilität voraus, die dem Sturz der Monarchie folgten.

Salazar gelangte zur Ansicht, daß die verschiedenen Berufsgruppen oder Stände, das Fundament der Gesellschaft bilden sollten. Das politische Bestreben war, den Staat mit Hilfe entsprechender Verbände zu organisieren. Im Rahmen des von ihm gegründeten Estado Novo (Neuer Staat) wollte es Salazar als überzeugter katholischer Integralist vermeiden, daß sich die portugiesische Nation entlang von Klassengegensätzen spaltete. Der Nationalversammlung wurde eine Ständekammer (Câmara Corporativa) zur Seite gestellt. 

Darin waren Vertreter der beruflichen Korporationen, der Gemeinden, der Kirche, der Universitäten, der Wohlfahrtseinrichtungen und der Verwaltungsorgane vertreten. 

Damit wollte der Staatslenker verhindern, daß ausschließlich Berufspolitiker in der Legislative vertreten waren, also Personen, die in den seltensten Fällen über konkrete, eigene Berufserfahrungen außerhalb der Politik verfügten.Ein Problem, das uns heute mehr als bekannt vorkommt und für das die parlamentarische Demokratie keine Lösung zu finden scheint. Im Gegenteil, die heutige Funktionselite entfernt sich immer mehr von den realen Problemen vieler gewöhnlicher Menschen.

Außenpolitisch konnte Salazar Portugal sowohl aus den Wirren des Spanischen Bürgerkriegs als auch des Zweiten Weltkriegs heraushalten. Daß ihm dieses Kunststück gelang, lag sowohl an seinem diplomatischen Geschick, das selbst seine Feinde nie in Abrede stellten, als auch an den traditionell guten Beziehungen Portugals zu England.

 Das Vereinigte Königreich tolerierte die Innenpolitik Salazars, solange er außenpolitisch keine gemeinsame Sache mit den ihm ideologisch eigentlich näherstehenden Achsenmächten machte. Den Kampf Francos unterstütze er zwar logistisch und propagandistisch, vermied aber auch hier jede militärische Verwicklung.

Mit dem Ende des Zweiten Weltkriegs begannen die Bedingungen für Salazar und seinen Estado Novo schwieriger zu werden. Für die Alliierten entfielen die außenpolitischen Motive, die zu einer Tolerierung der Regierung in Lissabon geführt hatten.

In den afrikanischen Kolonien erhoben sich Aufständische, die nicht nur von der Sowjetunion und China, sondern später auch von westlichen Mächten unterstützt wurden. 

1968 erkrankte der Staatslenker schwer, was ihn bewog, die Staatsgeschäfte an seinen Nachfolger Marcelo Caetano abzugeben. 

Salazar starb 1970, der von ihm geprägte Estado Novo überlebte ihn um vier weitere Jahre. Heute beruft sich nur noch die kleine Partido Nacional Renovador  (Partei der Nationalen Erneuerung) ausdrücklich auf den Staatsmann aus Coimbra. Sein Korporativismus gilt heute als antiquiert und obsolet.