© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 21/19 / 17. Mai 2019

Der Flaneur
Flotte weißer Lieferwagen
Gil Barkei

Da sind sie nicht der erste, der das anspricht“, sagt der gestreßt aussehende, aber freundliche Mitarbeiter des Lebensmittellieferservices entschuldigend, als ich die fehlenden Produkte anmerke. „Das liegt auch an der Personalpolitik: Nur noch Kosten drücken.“ Es werde immer mehr an Subunternehmen ausgelagert. Da fehle dann schon mal die genaue Einarbeitung und letztlich sei vielen flexibel Arbeitenden die Qualität einfach egal. „Die bleiben eh nie lange. Die fahren den einen Tag Lebensmittel aus und am nächsten Tag dann halt Autoteile oder Pakete.“

Nachdenklich räume ich die großen Papiertüten aus und gehe mit meinem Hund für die Abend­runde vor die Tür. Die junge Lieferkraft kramt hinten in einem weißen Transporter herum, der quer über den Gehweg in einer Einfahrt parkt. Was soll er auch machen? Abends, wenn die Anwohner von der Arbeit kommen, gibt es meistens keine freien Parkplätze mehr. Aber um eben genau diese Berufstätigen antreffen zu können, liefern einige Lebensmittelportale bis 24 Uhr.

Ein anonymer Wagen fährt vor, der Fahrer in Freizeitklamotten leert den Briefkasten. 

Die Szene erinnert mich an zahlreiche andere Begegnungen mit den sich im Stadtbild häufenden aufschriftlosen Vans. Erst kürzlich an einer kleinen Grünfläche fährt plötzlich ziemlich rasant ein heruntergekommener anonymer Kastenwagen vor. Ein gehetzt wirkender Mann mit südosteuropäischen Gesichtszügen springt aus der Fahrerseite, eine große Gartenschere in der Hand. Mit rekordverdächtigen unpräzisen Schnitten schreitet er die Hecke entlang – den Müll schnell in eine Plastiktüte und weiter geht’s.

An dem Briefkasten in meiner Straße oft ein ähnlicher Ablauf: Ein weißer Transporter – ein Post­emblem sucht man vergebens – fährt in zweiter Reihe vor. Ein schmaler orientalischer Mann in Freizeitklamotten anstatt in Gelb-Dunkelblau steigt aus. Der prall gefüllte Briefsack landet unsanft auf der Ladefläche. Schöne neue „outgesourcte“ Welt.