© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 22/19 / 24. Mai 2019

Endspurt mit Florett und Erfahrung
Europawahl: Quer durchs Land hat die JF drei Kandidaten mit ungleichen Chancen begleitet
Hinrich Rohbohm

Schwungvoll steigt der Mann mit dem schwarzen Jackett und der schwarz-rot gestreiften Krawatte die Treppe empor. Die Stufen führen von der Parkgarage vor den Eingang des baden-württembergischen Landtages. Dem gehört Lars-Patrick Berg bereits seit März 2016 an, als die AfD mit 15,1 Prozent erstmals ins Parlament einzog. Er ist mit seinem Landrover Discovery nach Stuttgart gekommen, einem Diesel. „Euro 6“, ergänzt er. Im Stuttgart dieser Tage ist es notwendig, das zu erwähnen. 

Er zeigt seine alte Wirkungsstätte. „Das Plenum ist leider gerade besetzt“, sagt er und deutet entschuldigend durch die Glaswand hindurch auf ein paar Schülergruppen, die mit Abgeordneten diskutieren. Der ehemalige PR-Berater öffnet die Tür zu einem weiteren Raum. „Hier finden die Ausschußsitzungen statt. Da drüben an der Ecke sitze ich normalerweise.“

Im Wahlkampf auch  Schattenseiten erlebt

Der 52jährige wird dort künftig nicht mehr sitzen. „Die Umzugskartons sind schon gepackt.“ Der Grund: Berg hat weitere Stufen erklommen. Die Stufen von der Landes- in die Europapolitik. Im Herbst vorigen Jahres nominierte ihn seine Partei als Kandidaten für das Europaparlament. Der in Frankfurt geborene und in Böblingen aufgewachsene Sohn einer Engländerin und eines Deutschen erhält den Listenplatz vier, erzielt bei der Nominierung eines der besten Ergebnisse. Ein sicheres Ticket für Brüssel. Für Berg ist es eine Rückkehr. Als die AfD 2014 ins Europaparlament einzog, wurde er ihr Pressesprecher, ehe die Landtagswahl ihn zwei Jahre später nach Stuttgart führte.

„Mit dem Landtag habe ich abgeschlossen“, sagt er nachdenklich, mit leichtem Seufzer. Die alles andere als konfliktfreie Zeit innerhalb seiner Fraktion mit all den schrillen und schrägen Tönen ist nicht spurlos an ihm vorbeigegangen. Lars-Patrick Berg ist ein Mann der leisen Worte, des smarten Auftretens, der richtigen Etikette. Wüste Beschimpfungen der politischen Kontrahenten sind weniger sein Metier. 

„Du mußt ordentlich draufhauen, nur so wirst du wahrgenommen“, hatten Kollegen seiner Fraktion ihm gesagt. Doch Berg ist ein Mann des verbalen Floretts, weniger des Säbels. „Wie man in den Wald hineinruft, so kommt es auch wieder hinaus“, sagt er. Er erzählt von Fraktionsmitgliedern, denen Kollegen anderer Couleur nicht einmal die Hand geben. Berg hat diese Probleme nicht. „Hallo, wie schaut’s aus? Ich habe Ihr Schreiben gelesen, hat mir sehr gefallen“, begrüßt er im Landtag einen Grünen. „Ach, du auch hier?“, eröffnet er das Gespräch mit einem SPD-Abgeordneten auf dem Europa-Aktionstag am Stuttgarter Schloßplatz. 

Immer wieder wird Berg in der Menge erkannt. Er winkt, sagt hallo. Helfer des Aktionstages schenken ihm eine Europa-Anstecknadel. Der AfD-Politiker bedankt sich. „Das ist eine wichtige und tolle Sache, die Sie hier machen.“ Bänke sind vor einer Bühne aufgebaut, Luftballons aufgehängt. Auf der Bühne spricht Guido Wolf von der CDU. „Das ist mein Wahlkreiskollege, den muß ich mir anhören“, sagt Berg, der den CDU-Mann als Politiker schätzt. 

Im Wahlkampf erlebt Berg auch die Schattenseiten jenseits freundlicher Konversation. Als er in Villingen-Schwenningen mit Alice Weidel auftritt, schlägt ihm der Haß linker Fanatiker entgegen. Buh-Rufe, Blockaden, Provokationen. Bei einem Termin in Weinheim dringen Linksextremisten in den Saal, stören die Veranstaltung. 

„Quer durchs Land haben wir großen Plakatschwund. Die hängen manchmal nur ein paar Stunden.“ Infostände werden von Antifa-Anhängern attackiert, mit Transparenten abgesperrt. Im Rems-Murr-Kreis prügeln linke Gewalttäter auf einen AfD-Wahlhelfer ein, brechen ihm mit einem Schlagstock zwei Finger. „In Waiblingen wollten sie einen unserer Wahlkämpfer von einer Brücke schmeißen. Inzwischen überlege ich mir ernsthaft, ob ich mir eine schuß- und einstichsichere Weste besorgen soll“, meint er. 

Während Berg sich über seine Verteidigung Gedanken macht, schaltet ein anderer Europakandidat auf Angriff. „Ich will direkt an die Front mit denen“, sagt Bernd Posselt (CSU) beim Wählerforum der Europa-Union in Ottobrunn. Da wird gerade der Umgang mit Links-und Rechtsextremisten thematisiert. Die Kandidaten von CSU, SPD und Grünen sind erschienen, dazu ein Vertreter der Jungliberalen. AfD und Linkspartei sind nicht eingeladen. „Die koalieren in Europa sogar miteinander. So als würden Wagenknecht und Gauland eine Regierung bilden“, erklärt Posselt. Seine Waffen sind Erfahrung und Sachkompetenz. 

Eine kurze Rede, dann geht es weiter

Es gibt nur wenige EU-Politiker, die ein ähnlich hohes Maß an Wissen über die Europapolitik aufweisen können wie der 62jährige. 1975 gründet er die Paneuropa-Jugend, arbeitet lange Jahre als Pressesprecher Otto von Habsburg-Lothringens, dem ältesten Sohn des letzten Kaisers von Österreich-Ungarn. 20 Jahre lang gehörte er dem Europaparlament an. Als es 2014 nicht wieder für den Einzug ins Parlament reicht, fährt er trotzdem nach Brüssel und Straßburg, nimmt weiter Woche für Woche an Ausschuß- und Parlamentssitzungen teil. Ein einmaliger Vorgang, der aber für den eingefleischten Europäer Posselt typisch ist. 

In Ottobrunn warnt er vor Rußlands Einfluß auf Europa, vor der Gaspipeline Nordstream 2 und der Gefahr einer energiepolitischen Abhängigkeit. „Ich sehe Putin als gefährlichen aggressiven Diktator“, betont er immer wieder in den Diskussionen. Eine Position, die auch Otto von Habsburg-Lothringen stets vertreten hatte. 

Wenige Tage später sitzt Posselt im Biergarten des Gasthofs „Zum Ochsen“ in Augsburg bei seinem Freund Ilir Seferi. Einem Kosovo-Albaner, der wie er in der Paneuropa-Union aktiv ist. Seferi trägt bayerische Tracht, hat zur Biergarteneröffnung geladen. Die Augsburger Königstreuen sind in ihren Trachten und Federhüten gekommen, ebenso die lokale CSU-Prominenz. Auch der örtliche Europakandidat Matthias Fink, der auf Listenplatz zwölf kandidiert. „Bei 82 Prozent CSU bin ich drin“, scherzt er. Posselt hat Platz sieben bekommen. Die CSU wird bei der Wahl zulegen müssen, wenn ihm der Wiedereinzug gelingen soll. 

Gemeinsam mit Ilir Seferi hißt Fink die Europaflagge. Die Gäste stimmen dazu die Bayernhymne an. „Und jetzt singen wir aber auch alle noch die Europahymne“, sagt Posselt. Auch hier ist er ganz Europäer. Eine kurze Rede, dann geht es schon weiter. In den Keller der Grundschule von Augsburg-Göggingen, wo sich das Heimatmuseum Stadt und Landkreis Neudek befindet, einem sudetendeutschen Ort im böhmischen Teil des Erzgebirges. Posselt, langjähriger Bundesvorsitzender der Sudetendeutschen, dessen Vater ebenfalls aus Böhmen stammt, ist hier in seinem Element. 

Er erzählt, wie er einst mit Otto von Habsburg nach Böhmen gereist sei und der einstige Thronfolger gefragt wurde, wie oft er schon dagewesen sei. „Da hatte er gesagt, das zweite Mal. ‘Das erste Mal kam ich als U-Boot. Im Mutterleib von Kaiserin Zita’.“ 

Bürgerlich statt adelig geht es dagegen bei der Bayernpartei zu. Das zu betonen ist Florian Weber wichtig. „Denn immer wieder werden wir mit der ehemaligen Partei der Königstreuen verwechselt.“ Weber ist Vorsitzender und Spitzenkandidat jener Partei, die eigentlich ihre besten Tage hinter sich hat. In den fünfziger Jahren noch an der Bayerischen Staatsregierung beteiligt, ist sie im Laufe der Jahre in der Bedeutungslosigkeit verschwunden. Doch seitdem 0,5 Prozent der Stimmen für den Parlamentseinzug ausreichen, ist die Europawahl auch eine Bühne für Kleinparteien geworden. 

Weber sitzt hinter dem Schreibtisch seiner Münchner Landesgeschäftsstelle. Neben ihm hängt ein Gemälde von Max Lallinger, dem Gründer der Bayernpartei. „Bayer sein ist keine Frage der Geburt, sondern der Gesinnung“, sagt er. Er holt eine Broschüre hervor. 45 europäische Regionalparteien sind darin aufgelistet. „Im Gegensatz zur letzten Wahl haben wir uns inzwischen international vernetzt. Unsere Partnerparteien werden nun Werbung bei ihren zahlreichen in Deutschland lebenden Landsleuten für uns machen. Das erhöht unsere Chancen.“ Zwei bis drei Termine hat er momentan pro Tag. Alles ehrenamtlich. Aber: „Unser Hauptaugenmerk liegt in den sozialen Netzen. An den Infoständen sei die Stimmung zwar positiv. „Aber ob man uns dann wirklich wählt, ist die Frage.“ 

Eine Frage, auf die Weber, Posselt und Berg am kommenden Sonntag ihre Antwort erhalten werden.